Überfüllte Klassen, überforderte Lehrkräfte und immer wieder Unterrichtsausfall: Die Situation an deutschen Schulen spitzt sich weiter zu. Die Folge: Immer mehr Schülerinnen und Schüler verlassen die Schule mit unzureichenden Fachkenntnissen und Mängeln in ihrer sozialen und persönlichen Entwicklung. Schon jetzt hat die deutsche Wirtschaft aufgrund des demografischen Wandels mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen. Der zunehmende Qualitätsverlust der schulischen Ausbildung verschärft dieses Problem noch weiter und droht, zum eklatanten Standortnachteil für unser Land zu werden. Wie muss Schule sich verändern, damit unsere Kinder bestmöglich auf ihre berufliche Zukunft vorbereitet werden? Welche Probleme müssen besonders schnell angegangen werden? Und welche Potenziale lassen sich in der Schule der Zukunft freisetzen?
Die Antworten auf diese Fragen hat die Stiftung NiedersachsenMetall heute (Donnerstag) während des diesjährigen Bildungskongress im Schloss Herrenhausen vorgestellt. „Zehn Eckpfeiler für die Schule der Zukunft“ lautet das bildungspolitische Plädoyer, das Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall und Olaf Brandes, Geschäftsführer der Stiftung, präsentierten. Unterstützt wurden sie dabei im Jahr des zwanzigjährigen Bestehens der Stiftung vom Lehrer-Influencer und Podcaster Bob Blume und dem Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar.
„Wir brauchen jetzt den Kurswechsel in der Bildungspolitik. Im internationalen Vergleich hat der Bildungsstandort Deutschland den Anschluss verloren“, kritisiert NiedersachsenMetall-Hauptgeschäftsführer Schmidt. Kompetenzen und Fähigkeiten, die bereits heute und zukünftig noch stärker auf den Arbeitsmärkten gefragt sind, würden in der Schule nur unzureichend vermittelt. „Damit gerät auch Deutschlands Status als eine der führenden Industrienationen der Welt in Gefahr.“
Die zehn von der Stiftung erarbeiteten Eckpfeiler benennen Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, damit Schulen ihren Bildungsauftrag vollumfänglich erfüllen können. Dabei beschränken sie sich nicht auf essenzielle Punkte wie die Ausstattung von Schulen und die Verbesserung der Ausbildung von Lehrkräften, sondern nehmen ganzheitlich das Zusammenspiel von Schulen, Eltern, Schülerschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den Blick. „Die Zeit drängt und die Welt bleibt nicht stehen. Daher müssen die nächsten Schritte in der Fortentwicklung der Bildungslandschaft konsequent angegangen werden“, mahnt Schmidt.
Bürokratieabbau und mehr Freiräume
Eine der Kernforderungen: Schulen müssen in der Lage sein, individuell handeln und selbstständig entscheiden zu können. „Schulen sind in vielen Bereichen fremdbestimmt und ihre Handlungsspielräume werden auch durch zunehmende Bürokratie immer weiter eingeschränkt“, kritisiert Schmidt. Damit Schulen einen modernen und praxisnahen Unterricht anbieten können, müsse Schulleitungen und Lehrkräften mehr Kompetenzen zugestanden, Freiraum eingeräumt und Vertrauen entgegengebracht werden. Die Formel dafür: „Weniger Bürokratie und mehr Budgethoheit“, sagt Schmidt. Und: „Mehr Spielräume, um etwa Quereinsteiger zu beschäftigen.“ Gleichsam müssten Lehrerinnen und Lehrer regelmäßig fortgebildet und von fachfremden Aufgaben entlastet werden.
Damit alle Schülerinnen und Schüler dem Unterricht ohne größere Schwierigkeiten folgen können, müssten die Sprachkenntnisse stärker in den Fokus genommen werden. „Sprache ist der Schlüssel zu einer gelungenen Integration und Grundlage für eine erfolgreiche Schul- und Berufslaufbahn“, sagt Schmidt. Darüber hinaus müsse es das Ziel sein, dass jede Schülerin und jeder Schüler die Schule mit einem Abschluss verlässt. Dafür müssten die individuellen Stärken und Schwächen gefördert werden. „Dazu zählt auch, die Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen Schulformen wieder zu erhöhen und das Konzept der Förderschule mit einzubeziehen“, fordert Schmidt.
Digitalisierung ist mehr als Hardware
Die Schule der Zukunft ist selbstverständlich nach aktuellen Standards ausgestattet, um durch moderne Lernmittel in zeitgemäß eingerichteten Klassenzimmern und mit digitaler Unterstützung einen praxisnahen Unterricht anbieten zu können. Das gilt besonders für MINT-Fächer, für deren adäquate Vermittlung sowohl haptische wie auch digitale Lernmittel Voraussetzung sind. „Vor allem bei der Digitalisierung kommt es auf mehr als nur die Hardware an“, sagt Stiftungs-Geschäftsführer Brandes. „Das Erlangen umfassender digitaler Kompetenzen muss für Schülerinnen und Schüler zukünftig zum Pflichtbestandteil schulischer Bildung gehören, damit sie ihr späteres Berufsleben auch selbstbestimmt bestreiten können.“ Voraussetzung dafür sei die kontinuierliche Schulung der Lehrkräfte im Umgang mit digitalen Lernmitteln.
Ebenso wichtig: Eine Stärkung sozialer Kompetenzen. „Seit mehreren Jahren befragen wir unsere Unternehmen regelmäßig nach der Qualität ihrer Bewerberinnen und Bewerber für Ausbildungsplätze – der Trend, der sich dabei abzeichnet, ist alarmierend“, sagt NiedersachsenMetall-Hauptgeschäftsführer Schmidt. „Neben fachlichen Kenntnissen mangelt es den Schulabgängern immer häufiger an sozialen und persönlichen Kompetenzen. Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Lernbereitschaft sind bedauerlicherweise schon lange keine Selbstverständlichkeit bei Auszubildenden mehr.“ Solche Werte müssten in den Schulen vermittelt und vorgelebt werden, doch dazu bräuchten diese auch die Unterstützung von Staat und Gesellschaft. „Die Stärkung sozialer Kompetenzen ist nicht nur für die berufliche Karriere entscheidend, sondern auch Grundvoraussetzung für eine engagierte und leistungsfähige Gesellschaft“, sagt Schmidt.
Ein Schulabschluss ist für eine spätere Karriere unabdingbar, jedoch kein Garant. Vor allem seit der Coronapandemie mit Homeschooling und mangelnden Möglichkeiten zur Berufsorientierung fehlt vielen Schulabgängerinnen und -abgängern die notwendige Orientierung auf dem Arbeitsmarkt. „Die hohe Zahl abgebrochener Studiengänge, insbesondere im MINT-Bereich, und unbesetzter Ausbildungsstellen trotz genügend unversorgter Bewerberinnen und Bewerber sprechen eine deutliche Sprache“, sagt Schmidt. Viele würden aus Mangel an Kenntnissen über berufliche Alternativen zunächst ein Studium beginnen und scheitern, da die akademische Laufbahn nicht ihren Fähigkeiten und Neigungen entspreche. „Immer wieder stellen wir fest, dass die Bandbreite an Perspektiven, die der Arbeitsmarkt bereithält, in der schulischen Berufsorientierung unterrepräsentiert ist“, kritisiert Schmidt. Dies könne man nur mit einer engeren Verzahnung der Arbeitswelt mit dem Schulalltag beheben. „Unternehmen und Schule können auf vielfältige Weise voneinander profitieren. Auf der IdeenExpo erleben wir alle zwei Jahre, wie Hunderttausende Jugendliche niedrigschwellig mit Naturwissenschaften und Technik in Berührung kommen, durch den Austausch mit nahezu gleichaltrigen Auszubildenden den Spaß an MINT-Berufen entdecken und ganz nebenbei noch ihren zukünftigen Arbeitgeber kennenlernen. Das ist Berufsorientierung in ihrer besten Form.“