Pressemitteilung
Diskurs
24. Januar 2025

Niedersächsischer Industrie droht Verlust von 50.000 Arbeitsplätzen

Die Rezession in der niedersächsischen Industrie droht auch 2025 anzuhalten. So lautet das Fazit einer aktuellen Konjunkturumfrage unter 540 Mitgliedsunternehmen von NiedersachsenMetall und weiterer Industrie‑Arbeitgeberverbände, deren Ergebnisse NiedersachsenMetall-Hauptgeschäftsführer Dr. Volker Schmidt heute vorgestellt hat. „Die Krise der deutschen Wirtschaft schlägt auch in Niedersachsen voll durch – sie macht sich hier wegen der hohen Abhängigkeit von der Autoindustrie sogar noch stärker bemerkbar. Teile unserer Industrie befinden sich im freien Fall. Sollten sich die Rahmenbedingungen nicht grundlegend verbessern, erwarten wir aufgrund der uns vorliegenden Unternehmenspläne, dass bis Mitte 2026 mindestens 50.000 Arbeitsplätze in der niedersächsischen Industrie verloren gehen. Die Hauptlast werden dabei die Automobil abhängigen Branchen tragen, auf die nach unserer Schätzung ungefähr drei Viertel des Beschäftigungsabbaus entfallen dürfte.“

Die Ursachen für diese alarmierende Prognose seien vielfältig und hätten sich in den vergangenen fünf Jahren regelrecht kumuliert, wie Schmidt sagt: „Die niedersächsische Industrie befindet sich tatsächlich seit 2018 im Abwärtstrend und seit 2020 in einer Ausnahmesituation: Stichworte Corona, Ukraine-Krieg, Energiekosten-Explosion. Hinzu kam eine irrlichternde Wirtschaftspolitik der auseinandergefallenen Ampel-Regierung, durch die die Verunsicherung bei Unternehmen und Verbrauchern zusätzlich gestiegen ist. Die Planungssicherheit vieler Firmen ging endgültig verloren.“ Zudem hätten laut Schmidt viele Unternehmen im Vorgriff auf künftige Fachkräfte-Engpässe mehr Personal als nötig beschäftigt. 

Auftragslage im zweiten Halbjahr 2024 bei vielen Unternehmen zusammengebrochen

Ablesbar ist diese Entwicklung etwa an Auftragslage und Auslastung der M+E-Unternehmen in Niedersachsen: So hat sich die Zahl der Industriefirmen mit Auftragsmangel im Laufe des Jahres 2024 von knapp 40 auf 60 Prozent erhöht. Dadurch waren die Unternehmen Ende 2024 auf einem Tiefstand. Die Auftragslage ist nach der Sommerpause 2024 streckenweise zusammengebrochen, sowohl für Automotive als auch im Maschinenbau und bei Investitionsgütern. „Die Prognosen für das zweite Halbjahr 2024 mussten reihenweise revidiert werden, mit der Folge, dass die Fixkosten vieler Unternehmen durch die Decke gehen. Die Situation ist deutschlandweit besorgniserregend, in Niedersachsen aber noch schlimmer“, sagt Schmidt, auch mit Blick auf den geplanten Stellenabbau. 

Gaben Anfang 2024 noch 20 Prozent der Unternehmen an, Personal abbauen zu wollen, wuchs diese Zahl im Laufe des vergangenen Jahres um mehr als das Doppelte auf 45 Prozent, während es bundesweit im Schnitt 37 Prozent sind. „Für Niedersachsens Industrie ist das Auto nahezu systemrelevant“, erklärt Schmidt. „Wenn dann 61 Prozent der niedersächsischen Firmen im Automobilsektor – also fast zwei Drittel – davon ausgehen, dass sie die Produktion in 2025 zurückfahren müssen, ist das in höchstem Maße alarmierend. Es hat unmittelbare Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Neben der hohen arbeitsmarktpolitischen Bedeutung steht die Branche wie in keinem anderen Bundesland zudem für Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE), sprich für die Innovationskraft des ganzen Bundeslandes:  56 Prozent der FuE-Ausgaben in Niedersachsen kommen aus der Autoindustrie. Die Fliehkräfte aufgrund deutlich besserer Standortbedingungen im Ausland sind aber auch in dieser Branche inzwischen gewaltig.“ 

Düstere Prognose: Dr. Volker Schmidt präsentiert die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage. Foto: Wallmüller

Das zeige sich auch an der Investitionsneigung der befragten Unternehmen. Gingen die Investitionsausgaben seit 2020 mit einer Ausnahme jährlich zurück, will nun fast jedes zweite Industrie-Unternehmen seine Investitionen kürzen. „Für den Kapitalstock in der niedersächsischen Industrie ist das katastrophal – er wird zunehmend älter und verliert an Modernität und damit an Wettbewerbsfähigkeit“, befürchtet Schmidt. Besonders beunruhigend: Die Firmen würden zwar investieren, allerdings aufgrund niedrigerer Energiekosten, geringerer Abgaben und geringerer Lohnkosten vermehrt im Ausland. „Neue Investitionen finden zu zwei Dritteln außerhalb Niedersachsens und Deutschlands statt, das ist ein regelrechter Exodus. Nur noch jede dritte Investition fließt in die vorhandenen niedersächsischen Kapazitäten. Für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit ist das verheerend“, erklärt Schmidt. 

Erleichterter Zugang zu Kurzarbeitergeld und bessere Standortbedingungen 

In Summe würden diese Faktoren den Industriestandort Niedersachen dauerhaft schwächen. Schmidt: „Es geht jetzt ans Eingemachte. Unternehmen bauen Personal ab und verlassen Niedersachsen in Richtung Ausland. Damit Niedersachsen nicht unwiederbringlich Wertschöpfung und Wohlstand verliert, muss unsere Industrie auch kurzfristig stabilisiert werden.“ Schmidt fordert daher: „Die Politik muss angesichts der dramatischen Lage einen erleichterten Zugang zur Kurzarbeit ermöglichen, wie während der Corona-Krise. Wir müssen Zeit gewinnen und Brücken bauen, um den drohenden spürbaren Abbau von Arbeitsplätzen zumindest abzuschwächen.“ 

Die kommende Bundesregierung müsse zudem für eine echte Wirtschaftswende sorgen, damit der Standort Deutschland wieder attraktiv und die Unternehmen im internationalen Wettbewerb wieder konkurrenzfähig würden. Schmidt: „Unsere Unternehmen brauchen bezahlbare, wettbewerbsfähige Energiepreise. Die hohen Energiekosten katapultieren unsere exportorientierten Betriebe ins Aus. Die Finanzierung der Netzentgelte etwa aus der CO2-Abgabe könnte ein sinnvoller Weg sein.“

Ebenso spricht sich Schmidt für eine Steuerentlastung aus: „Deutschland hat unter den Industrieländern mit ca. 30 Prozent die höchste Unternehmensbesteuerung. Wir müssen hier runter, damit hierzulande wieder stärker investiert und der Kapitalstock modernisiert wird.“ Als weitere Maßnahme sei eine „drastische“ Entbürokratisierung notwendig: „Wir stehen in Deutschland vor einem Regulierungsinfarkt. Trotz aller politischen Absichtserklärungen ist es nicht gelungen, die Regelungsdichte zu reduzieren. 
Deswegen: Weniger Personal, weniger Regeln und der verstärkte Einsatz moderner Technik in der Verwaltung.“ 

Technologieoffenheit

Mit Blick auf die herausragende Bedeutung der Automobilindustrie für Niedersachsen erneuert Schmidt seine Forderung nach Technologieoffenheit und einem Abschied vom Verbrenner-Aus: „Die politische Fixierung auf die E-Mobilität als einzige Antriebslösung zur Erreichung der Klimaziele hat unsere Industrie schwer beschädigt. Die Markt-Akzeptanz für E-Autos ist europaweit kaum vorhanden und wird auch nicht so schnell wie nötig wachsen. Wir erleben stattdessen, dass der Kostendruck bei Herstellern und Zulieferern wächst, die Produktion von Fahrzeugen und Komponenten verstärkt an deutlich kostengünstigere Standorte mit hohen Deckungsbeiträgen verlagert wird, um die hohen Kosten von E‑Fahrzeugen auffangen zu können. Insoweit wirkt die Elektromobilität derzeit wie ein Brandbeschleuniger, was die Verlagerung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung ins kostengünstigere Ausland betrifft. E-Mobilität darf aber nicht zum Selbstzweck werden. Wir sollten stattdessen sämtliche klimafreundlichen Antriebslösungen in den Blick nehmen, verstärkt Hybride, aber auch E-Fuels und Wasserstoff – davon würde die Industrie gerade in einem Autoland wie Niedersachsen besonders profitieren.“

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