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02. September 2024

Niedersachsens Wirtschaftskraft läuft dem Bundestrend hinterher

Dr. Volker Schmidt (l.) und Prof. Michael Hüther stellen die Studie zum Wirtschaftsstandort Niedersachsen vor. Foto: Wallmüller

Im Auftrag von NiedersachsenMetall hat IW Consult, eine Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die repräsentative Studie „Wirtschaft in Niedersachsen“ erstellt. Dazu hat das IW eine umfassende Analyse des Industriestandorts Niedersachsens vorgenommen und darüber hinaus etwa 270 heimische Industrieunternehmen zu ihrer wirtschaftlichen Situation und zu Themen wie Wettbewerbsfähigkeit, Investitionsklima und Zukunftsperspektiven befragt. 

Null-Wachstum in Niedersachsen – während andere Flächenländer zulegen können

„Unser Bundesland hat ein echtes Wachstumsproblem“, beschreibt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer vom Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall, eines der zentralen Ergebnisse der Studie. Denn laut IW verharrt das reale Brutto-Inlands-Produkt (BIP) je Kopf auf der Stelle, weil die Industrie schwächelt. Mittlerweile steigt auch die Arbeitslosigkeit wieder. Während Niedersachsen im Zeitraum 2016 bis 2023 ein Nullwachstum zu verzeichnen hatte, stieg das BIP je Einwohner pro Jahr in den übrigen westdeutschen Flächenländern um 0,3 Prozent und in Deutschland um 0,4 Prozent. Die dahinter stehende Entwicklung sei laut Schmidt alarmierend: „Während Niedersachsen zwischen 2000 und 2016 noch deutlich stärker wuchs  als die anderen westdeutschen Flächenländer, ist die Entwicklung danach komplett gekippt: Seit nunmehr acht Jahren laufen wir dem Bundestrend hinterher. Und mit jedem weiteren  Jahr Nullwachstum droht der Abstand zum übrigen Bundesgebiet größer zu werden.“

Schwache Standortfaktoren – schwächelnde Industrie 

Mit Blick auf die niedersächsische Industrie kommt das IW zum Ergebnis, dass die Investitionen in Niedersachsen vor allem aufgrund ungünstiger Standortbedingungen eingebrochen sind: So lagen die Investitionen im Nach-Corona-Jahr 2022 ganze neun Prozent niedriger als im Vorkrisen-Jahr 2019. Die Investitionen verharren seitdem auf niedrigem Niveau: 35 Prozent der befragten niedersächsischen Industrieunternehmen geben an, seit dem vergangenen Jahr 2023 nicht mehr investieren oder die Investitionen nicht mehr erhöhen zu wollen. Stattdessen ist die Bereitschaft, im Ausland zu investieren, deutlich höher: Dort wollen 56 Prozent ihre Investitionen erhöhen, nur knapp 15 Prozent verzichten oder investieren weniger. Außerdem zielen im Ausland mehr als 80 Prozent der Investitionen auf Kapazitätserweiterungen, in Niedersachsen ist dies bei nicht einmal jedem fünften Unternehmen der Fall. 

„In kaum einem anderen Bundesland hat die Industrie eine so hohe Bedeutung für die gesamte Wertschöpfung wie in Niedersachsen. Aber auch sie wird von den deutschen Standortschwächen heruntergezogen: Keine konkurrenzfähigen Energiekosten, zu hohe Steuern und Abgaben, Arbeitskosten, die durch die Produktivität nicht mehr gedeckt sind und ein Übermaß an Bürokratie. Dies wirkt unmittelbar zurück auf die Investitionsneigung. Das ist gefährlich, denn rückläufige Investitionen sind immer Vorboten eines sinkenden Wohlstands“, fasst Schmidt die Situation zusammen. 

Automotive: Systemrelevant, aber angeschlagen 

Ein besonderes Augenmerk hat die IW-Studie auf die niedersächsische Automobilindustrie gelegt. Als bedeutendster Wirtschaftszweig stellt sie knapp 22 Prozent aller Industrie-Arbeitsplätze in Niedersachsen (zum Vergleich: In den westlichen Bundesländern arbeiten rund 14 Prozent der Industrie-Beschäftigten in der Automobilsparte). Sie steht derzeit infolge von Transformation und Absatzproblemen unter immensem Druck, dies gilt vor allem für die Zulieferbranche. 

Dazu Schmidt: „Die Automobilindustrie ist systemrelevant für die niedersächsische Wirtschaft. Nahezu die Hälfte aller Investitionen in den heimischen Standort kommen von Automotive. Krisen in der Autoindustrie schlagen daher in Niedersachsen viel schneller auf andere Branchen wie den Maschinenbau und die Stahlindustrie durch als in den übrigen Bundesländern.“ Wirtschaftspolitisch müsse daher alles der Frage untergeordnet werden, wie sich Niedersachsens Schlüssel-Branche kurz- und mittelfristig stabilisieren lasse. Nach Ansicht des Verbandschefs könne das nur bedeuten: „Die Umsätz in der Autoindustrie müssen deutlich gesteigert und bestehende Wettbewerbsvorteile konsequent ausgespielt werden. Steigende Gewinne bedeuten mehr Investitionen in den Standort Niedersachsen. Wir brauchen die starken Umsätze im Verbrennergeschäft, auch, um überhaupt weiter in die 
E-Mobilität investieren zu können.“ Die Unternehmen müssten Zeit gewinnen, weil sich mit Elektrofahrzeugen auf absehbare Zeit kein Geld verdienen lasse. 

An einer Feststellung käme Niedersachsen nicht vorbei: Weil Hersteller und Zulieferer ganz den politischen Vorgaben aus Brüssel und Berlin folgend in den vergangenen Jahren massiv in die Elektrifizierung investiert hätten, Elektrofahrzeuge aber von großen Teilen der Kundschaft aus vielerlei Gründen derzeit abgelehnt werden, säßen sie jetzt auf massiven Überkapazitäten. Schmidt: „Die Fixkosten gehen bei vielen Unternehmen schlicht durch Decke, was die Verlagerung von Produktion in das kostengünstigere Ausland geradewegs erzwingt, um zu überleben.“ 

Die Politik muss Wachstumsimpulse setzen 

Unterm Strich bedeute die IW-Studie laut Schmidt: „Wenn wir nicht endlich entschieden gegensteuern, wird die schleichende Deindustrialisierung unseres Standortes Fahrt aufnehmen, der Exodus unserer Industrieunternehmen insbesondere ins kostengünstigere Osteuropa rasant zunehmen.“ Der NiedersachsenMetall-Hauptgeschäftsführer schlägt daher fünf Punkte zur Stärkung des Standortes und seiner Industrieunternehmen vor: 

  1. Standortfaktoren verbessern: Die hohen Standortkosten müssen runter, sie bremsen Investionen. Dazu zählen u.a. Steuern und Abgaben. Eine Senkung etwa der Körperschaftssteuer in mehreren Schritten, ergänzt um die Möglichkeit, Sofortabschreibungen auf Anlagegüter vornzunehmen, wäre ein klares steuerpolitisches Signal. Beide Maßnahmen wirken unmittelbar auf die Liquidität der Unternehmen und die Rentabilität von Investititionen am Standort. Die Landesregierung könnte eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg bringen.  

  2. Für wettbewerbsfähige Energiekosten sorgen: Schmidt bedauert, dass die Initiative der Landesregierung für einen Brückenstrompreis im vergangenen Jahr erfolglos blieb. Diese habe Niedersachsenmetall nachdrücklich unterstützt. Zwar profitieren energieintensive Unternehmen momentan von einigen Sonderregelungen wie etwa der sogenannten Strompreiskompensation, allerdings nur bis 2028. Diese Entlastung sollte verstetigt werden. Außerdem hat ein nicht unerheblicher Anteil von Unternehmen bereits Verträge zu höheren Konditionen mit den Versorgern abgeschlossen, die noch länger laufen. Deutschland ist mit seinen hohen Energiekosten im internationalen Wettbewerb, gerade für energieintensive Produktionen, im Nachteil. 

  3. Fachkräfte sichern: Schmidt betont die Wichtigkeit des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes der Bundesregierung. Er bezweifelt aber, dass dies reiche. Es dürfe zudem nicht davon ablenken, wie dringend notwendig die Werbung für MINT-Fächer in den Schulen sei. Er weist darauf hin, dass in den nächsten zehn Jahren nahezu jede zweite Lehrkraft für MINT-Unterricht in den Schulen in Pension gehe, ohne dass auch nur ansatzweise Ersatz für diese Lehrkräfte in Sicht sei. Schmidt weist auf die langfristige Bedeutung von Fachkräften für die Kapitalbildung in Niedersachsen hin: „Investitionen gehen dorthin, wo es Fachkräfte gibt.“ 

  4. Forschung und Entwicklung stärken: Niedersachsen habe mit einer Bundesratsinitiative 2017 entscheidend dazu beigetragen, dass es seit 2020 eine steuerliche FuE-Förderung des Bundes gebe. Diese Förderung werde in Niedersachsen aber nur unterdurchschnittlich in Anspruch genommen. Die Unternehmen sehen laut Stifterverband einen zu hohen Verwaltungsaufwand bei der Beantragung als zentrales Problem. Schmidt: „Dies widerspricht auf ganzer Linie der Intention der seinerzeitigen Inititaive, die ja gerade auf einen möglichst unbürokratischen Zugang zur Förderung setzte.“ Er fordert die Landesregiertung auf, beim Bund darauf hinzuwirken, die Antragsverfahren zu vereinfachen und kleinere niedersächsische Unternehmen bei der Antragsstellung zu unterstützen. 

  5. Technologieoffenheit statt einseitiger Marktregulierung:  Die Technologieauswahl, mit der die Klimaziele im Mobilitätssektor erreicht werden können, sollten der Industrie und dem Markt überlassen werden. Hersteller und Zulieferer haben Milliarden Euro in die E-Mobilität investiert, auf denen sie jetzt sitzenbleiben, weil 
    E-Autos bislang nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit auf keine hinreichende Technologieakzepetanz stoßen. Technologieneutralität hieße, das Eine zu tun, ohne das Andere zu lassen : Die Sicherung von industrieller Wertschöpfung bei gleichzeitiger Reduktion der CO2-Emissionen. Dies könne durch batterieelektrische Fahrzeuge wie auch z.B. durch den Einsatz von klimaneutralen Efuels erfolgen. Schmidt: „Es ist schon bemerkenswert, dass selbst China und die USA wie nahezu alle anderen Automobilmärkte weltweit bewusst einen technologieoffenen Ansatz bei Antriebstechnologien verfolgen. Es geht nicht um Glaubensfragen, es geht um den bestmöglichen Weg zu einer raschen Dekarbonisierung des Verkehrs.“ 

    Die Landesregierung sollte sich in Brüssel dafür einsetzen, dass möglichst rasch eine Überprüfung des Verbrennerverbots in 2035 vorgenommen wird, damit die Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit bekämen. Die Politik würde insgesamt an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn der tatsächliche CO2-Footprint bei Kraftfahrzeugen über die gesamte Wertschöpfungskette abgebildet werde und daran orientiert CO2-Grenzwerte zeitbezogen und in Stufen festgelegt würden, wie z.B. in den USA und China. Schmidt: „Wichtig für Niedersachsen ist doch jetzt, dass die Autoindustrie rasch wieder in Schwung kommt, damit der Standort stabilisiert wird. Dabei ist es doch völlig zweitrangig, welche Antriebsart gekauft wird.“ 

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