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Bildung
15. April 2021

Corona-Schuljahr ist ein verlorenes Jahr für die Bildung

Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände, beklagt die Folgen von Homeschooling und Distanzunterricht.

Das Corona-Schuljahr 2020/21 ist ein verlorenes Jahr für die schulische Bildung in Niedersachsen. Da sind sich nicht nur Bildungsexperten einig, auch die Wirtschaft kommt zu diesem Schluss. Der Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall und die in der Bildungsförderung engagierte Stiftung NiedersachsenMetall haben eine branchenübergreifende Umfrage unter rund 300 Unternehmen durchgeführt. Wie haben sich Homeschooling und Wechselmodell auf die Qualifikationen der Bewerber für Ausbildungsplätze ausgewirkt? „Das Ergebnis zeigt deutlich, dass fachliche Ausbildung und Persönlichkeitsentwicklung sehr unter dem Lernen auf Distanz leiden“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands NiedersachsenMetall.

Bewerber schlechter vorbereitet als vor der Pandemie

Jedes fünfte Unternehmen konstatierte, dass die Bewerber schlechter auf das Auswahlgespräch vorbereitet waren als in den Vorjahren.  Ein Drittel der befragten Firmen (31 Prozent) hat bei seinen Bewerbern Lern- oder Entwicklungsdefizite festgestellt. Dazu zählen Kenntnisse in den MINT-Fächern, aber auch Sozialkompetenzen.

Auch rückläufige Bewerberzahlen sind festzustellen. Gut ein Viertel der befragten Unternehmen hat weniger Bewerber auf ihre Ausbildungsplätze als vor der Pandemie. Kurz vor Ostern waren noch knapp ein Drittel der Ausbildungsplätze unbesetzt, im gewerblich- technischen Bereich waren dabei mehr Stellen offen (58 Prozent) als im kaufmännischen Bereich (42 Prozent)

Distanzunterricht führt zu Lernrückständen

„Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass Distanzunterricht zu Lernrückständen führt. Vieles kann über Homeschooling nicht vermittelt werden“, sagt Olaf Brandes, Geschäftsführer der Stiftung NiedersachsenMetall. Dazu komme eine enorme Spreizung zwischen den sozialen Schichten. „In höheren und mittleren Schichten fällt es den Eltern leichter, für eine vernünftige, technische Ausstattung ihrer Kinder zu sorgen und sie beim Lernen zu unterstützen. Es sind die Kinder aus sozial schwächeren Familien, die drohen, zu den großen Verlierern des Homeschoolings zu werden“, sagt NiedersachsenMetall-Hauptgeschäftsführer Schmidt.

Die Folge sind dauerhafte Lücken in der Bildung der Schülerinnen und Schüler, die deutliche Auswirkungen auf ihr Erwerbsleben haben, angefangen bei der Auswahl des Berufs bis hin zu späteren Einkommensperspektiven. „Studien zufolge können schon 13 versäumte Schulwochen und die dadurch nicht erlernten Kompetenzen zur Folge haben, dass sich die Einkommensperspektiven später nachhaltig verschlechtern“, sagt Schmidt. „Dabei ist das Gravierende: Diese Einbußen sind dauerhaft.“   

Wirtschaft will Wissens- und Entwicklungslücken füllen

Vier von zehn Unternehmen sehen die Defizite in den monatelangen Schulschließungen begründet. Doch die Wirtschaft ist bereit, verstärkt in die Auszubildenden zu investieren. Mit gut 70 Prozent will die Mehrheit der Firmen die Defizite während der Ausbildung ausgleichen.

Schmidt lobte das Engagement der Unternehmen, die fachliche und soziale Entwicklung der Azubis noch stärker zu unterstützen. Doch das dürfe für die Bildungspolitik kein Anlass sein, sich aus der Verantwortung zu stehlen. „Wir brauchen ein vernünftiges Nachhol-Programm für Niedersachsen, das allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt, das durch die Krise Versäumte aufzuholen.“

Mehr Lern-Angebote und Ausbau der Digitalisierung an Schulen nötig

Dazu zähle etwa, Förderangebote auszuweiten, Unterrichtsangebote an Samstagen oder in den Ferien dürften kein Tabu sein. Außerdem müssten die Schüler gezielter und individueller unterstützt werden. Etwa durch Lern-Angebote in kleinen Gruppen und Einzelbetreuung. Ein Fokus solle dabei auf die Schülerinnen und Schüler gelegt werden, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. „Denn fehlende Sprachkenntnisse stellen eine zusätzliche Hürde dar, die es diesen Schülerinnen und Schülern noch schwerer macht, den Stoff aufzuholen“, sagt Schmidt. Für diese Maßnahmen müsste zusätzliches Personal angeworben werden. „Das können Lehramtsstudierende sein, aber auch bereits pensionierte Lehrerinnen und Lehrer.“

Zudem müsse das Land noch massiver in die Digitalisierung der Bildung in Niedersachsen investieren. Einer kürzlich von der Drei-Quellen-Mediengruppe in Auftrag gegebene Allensbach-Umfrage zufolge ist die digitale Ausstattung der Schulen nach Auffassung von 60 Prozent der Niedersachsen eher schlecht und hat sich seit Beginn der Pandemie nicht verbessert.

Länder müssen Bildungshoheit verteidigen

„Es wird zu Recht öffentlich viel über die fehlenden Perspektiven von Gastronomie, Einzelhandel und Veranstaltungsbranche gesprochen. Wo aber bleiben die fehlenden Perspektiven und die grassierenden Zukunftsängste von Kindern und Jugendlichen in der politischen Debatte?“, fragt Schmidt. Er weist darauf hin, dass Deutschland wie kaum ein zweites Land auf der Welt so sehr ein Interesse daran haben sollte, jungen Menschen – und damit den Fachkräften von morgen – eine möglichst gute Bildung zukommen zu lassen. Kein Land auf der Welt sei als Industrie- und High-Tech-Standort so sehr auf bestausgebildete Arbeitnehmer und Unternehmer angewiesen wie Deutschland und keine Gesellschaft könne es sich so wenig leisten, dem Kompetenzausfall einer ganzen Generation tatenlos zuzusehen.

„Wir als Initiatoren und Veranstalter der Ideen Expo weisen immer wieder darauf hin, dass wir auf junge Leute und ihre Innovationskraft dringend angewiesen sind“, sagt Schmidt. Deshalb sei zu beklagen, wie einfallslos die Bundespolitik im 14. Monat der Pandemiebekämpfung agiere – mit Schulschließungen. „Wir appellieren deshalb dringend an die Landesregierung, die Bildungshoheit der Länder im vorliegenden Bundesinfektionsschutzgesetz unbedingt zu verteidigen und dem Ansinnen der Bundesregierung, die Schulen ab einem Inzidenzwert von 200 komplett zu schließen, eine klare Absage zu erteilen.“

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