DIW-Präsident Fratzscher warnt vor einem Auseinanderdriften der Bundesländer
Driftet Deutschland wirtschaftlich auseinander?
Laut Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus Berlin, drohen die Unterschiede zwischen den Ländern immer größer zu werden. „Die Unterschiede nehmen seit fünf Jahren zu. Das ist nicht nur ein Thema für Ostdeutschland, sondern wir haben ein immer stärkeres Süd-Nord-Gefälle“, warnte Fratzscher. Fratzscher war am Dienstagabend Gast bei den Celler Schloss-Gesprächen des Arbeitgeberverbandes NiedersachsenMetall und der Deutschen Management Akademie Niedersachsen (DMAN). Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall, und Harald Becker, Akademiedirektor und Geschäftsführer der DMAN, begrüßten zuvor die 150 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung zu den Celler Schloss-Gesprächen, die sich in diesem Jahr der Frage "Weltmeister Deutschland - Boxer ohne Deckung?" widmeten.
In den Ländern Hessen, Baden-Württemberg und Bayern gebe es laut Fratzscher eine hervorragende Entwicklung. Unternehmen könnten sich dort gut entwickeln oder siedelten sich dort an. Das sei in manchen Teilen Niedersachsens schwieriger. Der DIW-Präsident warnte vor einem Teufelskreis, in dessen Folge es auch zunehmende soziale Konflikte geben könne. Die immer größeren Unterschiede liegen Fratzscher zufolge zu einem erheblichen Teil an der Investitionsschwäche in Deutschland. Gerade bei strukturschwachen Kommunen sei das ein großes Problem. Zudem hätten viele Reformen des Länderfinanzausgleichs eben nicht dazu beigetragen, diese Unterschiede kleiner zu machen. Stattdessen seien sie gewachsen.
Zuvor hatte bereits Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall, auf das Problem zu niedriger Investitionen hingewiesen. Das Wachstum vergangener Jahre sei vor allem durch Konsum und Staatsausgaben getrieben gewesen. Bei den Investitionen in Maschinen und Anlagen habe man erst im Jahr 2017 wieder das Niveau von 2008 erreicht. „Uns fehlt insgesamt ein kompletter Investitionsjahrgang. Das schwächt uns jetzt, wenn der Wind von vorne kommt“, warnte Schmidt. Einen Aufschwung ohne gleichzeitig wachsende Investitionstätigkeit habe es bisher noch nie gegeben. Fratzscher sieht jetzt vor allem den Bund in der Pflicht. Er habe Bayern aus dem Länderfinanzausgleich herausgekauft, müsse sich aber stärker zu gleichwertigen Lebensbedingungen in Deutschland bekennen. „Mehr Geld sollte vor allem in strukturschwache Gebiete oder Regionen mit hohem Wachstumspotenzial fließen“, forderte der Ökonom. „Die Milchkanne muss überall mitgedacht werden, nicht nur beim Netzausbau.“
Insgesamt blickt Fratzscher bei der wirtschaftlichen Entwicklung noch grundsätzlich optimistisch in die Zukunft. Es gebe viel ungenutztes Potenzial in Europa. Das biete auch in den nächsten Jahren gute Wachstumschancen. Gleichzeitig schränkte er den eigenen Optimismus aber ein: „Eigentlich ist der Ausblick positiv – wenn nichts schiefgeht. Und es kann eine Menge schiefgehen.“ Fratzscher sieht viele dunkle Wolken, die in der Weltwirtschaft aufziehen und große Risiken, die auch die deutsche Wirtschaft hart treffen könnten. Dabei sorge der Brexit derzeit zwar für Unsicherheit, die ökonomischen Auswirkungen wären aber weitaus geringer als eine erwartbare Rezession in den USA. Ein weiteres großes Risiko seien auch Probleme des italienischen Staates durch die Schwäche des eigenen Bankensystems. Ein deutsches Risiko sei unter anderem die demographische Entwicklung. „Wir haben in den nächsten Jahren immer weniger Menschen, die arbeiten. Gerade im kommenden Jahrzehnt gegen viele Babyboomer in Rente. Das wird große Auswirkungen auf die Sozialsysteme haben“, so Fratzscher.
Auch die Wirtschaft in Niedersachsen schaut eher sorgenvoll in die Zukunft. Der bisherige Aufschwung sei nicht in Stein gemeißelt. Das hätten auch die am Dienstag veröffentlichten Zahlen des Sachverständigenrates deutlich gemacht, sagte Dr. Volker Schmidt. Die sogenannten Wirtschaftsweisen hatten zuvor ihre Wachstumsprognose für 2019 um fast die Hälfte auf 0,8 Prozent nach unten korrigiert. „Wir stehen vor einem sehr risikobehafteten Jahr“, mahnte Schmidt. Dabei seien die Probleme in Deutschland zum Teil hausgemacht. Schmidt kritisierte dabei erneut das „Diesel-Bashing“. Das führe dazu, dass bei Diesel-Zulieferern die Zahl der Auftragseingänge bereits um 40 bis 50 Prozent zurückgehe. Zudem gebe es Unternehmen, in denen die Beschäftigung teilweise im dreistelligen Bereich abgebaut werde. Niedersachsen sei von der Diesel-Debatte als Autoland besonders betroffen. Für Dr.-Ing. Karsten Röttger, Vorstand des Werkzeugtechnikunternehmens Ecoroll AG mit Zentrale in Altencelle, steckt im Dieselmotor noch viel Potenzial. Das werde in der Debatte außer Acht gelassen. Röttger sagte, er halte es für falsch, den Fokus allein auf Elektromobilität zu setzen. „Am Ende wird es eher nicht auf den Elektromotor, sondern eher auf die Brennstoffzelle hinauslaufen. Die entsprechenden Rohstoffe wie seltene Erden sind für E-Autos auch gar nicht in dieser Masse verfügbar“, so Röttger. Holger Koch, Leiter Personalmanagement Werner Achilles GmbH, setzt bei der entsprechenden Suche nach Fachkräften auf das Engagement seines Unternehmens als Ausbildungsbetrieb: Der Kontakt beginne bereits in der Schule, eigene Auszubildende übernehmen bereits Verantwortung.
Fotos: Steffen Höntsch, fehlhaber.medien