Struktur- und Standortanalyse: Gutachten im Auftrag des Arbeitgeberverbandes NiedersachsenMetall
Nachfolgend die Kurzfassung der Studie, deren vollständige Version Sie als PDF-Anhang herunterladen können.
Niedersachsen steht gut da, darf aber den Anschluss nicht verpassen
Auf den ersten Blick steht Niedersachsen ganz gut da: Die Einwohner geben in Befragungen eine hohe Lebenszufriedenheit an, die Arbeitslosenquote ist rückläufig und war 2015 mit 6,1 Prozent geringer als in Deutschland insgesamt (6,4 Prozent).
Allerdings ist Niedersachsens Wirtschaftskraft unterdurchschnittlich: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf lag 2015 fast 3.500 Euro unter dem deutschen Wert. Will man hier vorankommen, tut mehr Wirtschaftswachstum not. Dessen Treiber sind vor allem das Verarbeitende Gewerbe und die mit ihm eng verbundenen unternehmensnahen Dienstleister. Es kommt also entscheidend darauf an, dass die (Industrie-)Unternehmen ausreichende Investitionen am Standort Niedersachsen wagen – was sie nur tun werden, wenn das Umfeld stimmt.
Dies wird umso dringlicher, je mehr sogenannte Megatrends – Globalisierung, Alterung der Gesellschaft, Wissensintensivierung – gegen Niedersachsen wirken werden. Ein weiterer Megatrend, die Digitalisierung, wird den Strukturwandel ebenfalls vorantreiben. Sie bietet Niedersachsen aber eine große Chance, denn sie erfordert eine Stärke der deutschen Industrie: die Beherrschung von Komplexität. Derzeit steht die deutsche Wirtschaft bei der Implementierung von Anwendungen der Industrie 4.0 noch ziemlich am Anfang. Investitionen und Innovationen sind der Schlüssel, um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Um die Innovationsfähigkeit auf breiter Front zu erhöhen, ist die Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung dringend geboten (andere Industriestaaten haben hier längst gehandelt).
Investitionen und Innovationen – Schwächen und Hemmnisse
Die Investitionen in Niedersachsen haben zwar etwas zugenommen. Allerdings lag das vor allem an der durch niedrige Zinsen getriebenen Bautätigkeit – die Investitionsquote in neue Ausrüstungen und sonstige Anlagen der Unternehmen ist von 11,8 Prozent auf 10,6 Prozent gesunken.
Bedenklich: Industriebetriebe investieren je 1.000 Euro Umsatz inzwischen nur noch knapp 33 Euro (zu Beginn der 2000er-Jahre waren es 37 Euro). Der Kapitalstock der niedersächsischen Industrie ist seit 2004 rückläufig. Wobei die Unternehmen selbst angeben, dass sie heute eher mehr Geld investieren müss(t)en, um die gleichen Resultate wie früher zu erzielen.
Die Musik bei den Investitionen spielt im Ausland: Der niedersächsische Bestand an Direktinvestitionen im ausländischen Verarbeitenden Gewerbe hat sich seit 1995 mehr als verachtfacht, während das nominelle Bruttoanlagevermögen daheim um nur 15 Prozent zugelegt hat. Auch absolut wuchs das Ausland fast doppelt so schnell wie das Inland.
Dazu muss man wissen, dass früher die Auslandsproduktion oftmals die Produktion im Inland gut ergänzte, weil neue Märkte durch Direktinvestitionen erschlossen wurden. Aktuell und in Zukunft gewinnen aber die ersetzenden Auslandsinvestitionen an Bedeutung: Produktion in der Ferne löst die an heimischen Standorten ab – die Globalisierung bekommt ein anderes Gesicht. Zumal Unternehmen vor allem auch deshalb im Ausland investieren, weil dort die (Arbeits-)Kosten niedriger sind.
Niedersächsische Defizite gibt es auch in Sachen Innovationsstärke: Die Firmen liegen bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) nur im bundesweiten Durchschnitt, Unternehmen in anderen Flächenländern wie Baden-Württemberg, Bayern oder Hessen geben da deutlich mehr aus. Wissenschaftler mit FuE-Tätigkeit sind in Niedersachsen im bundesweiten Vergleich unterdurchschnittlich vertreten. Ebenso sieht es bei den Patenten aus.
Durch die Digitalisierung werden die Ansprüche an die Fachkräfte weiter zunehmen. Umso gravierender, dass der Fachkräftemangel schon jetzt Investitionen in Niedersachsen hemmt – was fast 60 Prozent der Industrie-Unternehmen und der unternehmensnahen Dienstleister bejahen (besonders ausgeprägt ist das Problem im Zuständigkeitsbereich des Regionalbeauftragten in Braunschweig). Im zentralen Industriezweig Metall und Elektro kommen landesweit weniger als zwei Arbeitslose auf eine offene Stelle – dies gilt als deutliches Zeichen für Fachkräfteengpässe. Durch die Alterung der Gesellschaft wird sich dieses Problem noch verschärfen.
Ein weiteres Hindernis für Investitionen ist die Infrastruktur, die in einigen Regionen erhebliche Lücken aufweist. Im bundesweiten Vergleich gute Durchschnittswerte etwa bei Straßennetz und Breitband-Ausbau verdecken erhebliche örtliche Schwächen. Niedersachsenweit sehen „nur“ knapp 30 Prozent der befragten Unternehmen die Infrastruktur als ein starkes Hemmnis für Investitionen – im Zuständigkeitsbereich des Regionalbeauftragten Lüneburg sind es mehr als 45 Prozent.
Digitalisierung als Chance
Die digitale Transformation wird den Strukturwandel in Deutschland erheblich vorantreiben – für das Verarbeitende Gewerbe wird bekanntlich sogar von einer vierten industriellen Revolution gesprochen: „Industrie 4.0“. Datenfluss in Echtzeit längs der gesamten Wertschöpfungskette ändert deren Organisation und Steuerung; das macht auch neue Geschäftsmodelle möglich, bei denen individuelle Kundenwünsche noch deutlich wichtiger werden als bisher.
Mit Innovationen in diesem Bereich können sich niedersächsische Anbieter von ihren internationalen Wettbewerbern differenzieren und ihre Kunden stärker an sich binden. So können Industrieunternehmen verschiedene Dienstleistungen in ihren Produkten bündeln. Durch schnelle Umsetzung der Industrie 4.0 können sie sich neue Vorsprünge im Wettbewerb mit den Schwellenländern erarbeiten. Die Chancen dafür sind gut, weil die Beherrschung von Komplexität immer noch eine der wesentlichen Stärken deutscher Unternehmen ist. Entscheidender Treiber der Digitalisierung sind aber Investitionen in Technologie sowie in FuE – umso wichtiger ist es also, Investitionen am Standort Niedersachsen den Boden zu bereiten.
Handlungsoptionen
Forschung und Entwicklung sind ein Schlüssel zur Stärkung der niedersächsischen Wirtschaft. Für den digitalen Wandel werden zahlreiche Innovationen benötigt, die von den Unternehmen finanziert werden müssen. Zu den erwähnten niedersächsischen Schwächen im Bereich FuE kommen aber noch bundesweite Probleme.
Offensichtlich haben kleinere Unternehmen Schwierigkeiten bei der Nutzung der traditionellen öffentlichen FuE-Förderung. Zudem hat der deutsche Staat seinen Einsatz für die FuE-Aufwendungen der Wirtschaft insgesamt dramatisch verringert: 1981 lag der staatliche Anteil daran noch bei 16,9 Prozent, 2013 waren es nur noch 3,4 Prozent. In wichtigen anderen Industrieländern ist dieser Anteil deutlich höher – und viele setzen inzwischen auf eine spezielle steuerliche FuE-Förderung. Wie hochwirksam dieses Instrument ist, haben zahlreiche Studien aufgezeigt. In Deutschland fehlt nicht nur eine derartige steuerliche Förderung – hier werden FuE-Aufwendungen steuerlich sogar schlechter gestellt als andere Investitionsausgaben der Wirtschaft.
Um die FuE-Ausgaben vor allem auch jenseits der bereits heute forschungsstarken Unternehmen zu steigern, ist die Einführung einer steuerlichen FuE-Förderung geboten. Diese ist insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen planbar und mit geringem administrativem Aufwand nutzbar.
Auch in anderen Handlungsfeldern ist der Staat gefordert. So müssen für ein zügiges Vorankommen in Sachen Industrie 4.0 wichtige Rahmenbedingungen verbessert werden. Ob es nun um fehlende Normen und Standards geht, um unzureichende Datensicherheit oder um ungeklärte Rechtsfragen – die Politik muss hier Regeln setzen und Investitionshemmnisse beseitigen.
Dem Land Niedersachsen ist mit dem Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0 in Hannover bereits ein wichtiger Schritt zur besseren Unterstützung der Unternehmen gelungen. Die dramatische Ausweitung des innerbetrieblichen Informationsaustauschs zwischen den einzelnen Systemen fordert von den Unternehmen Investitionen etwa in standardisierte Schnittstellen. Hier könnten degressive Abschreibungsmöglichkeiten dazu beitragen, dass solche Investitionen zügig getätigt werden. Zudem gewinnen Themen wie IT-Infrastruktur, Automatisierungstechnik und Datenanalyse an Bedeutung in den Betrieben: Der Staat sollte diesen Wandel durch entsprechende Qualifizierungs- und Ausbildungsmaßnahmen unterstützend begleiten.
Darüber hinaus ist die Bildungspolitik aber auch grundsätzlich gefordert: Werden mit den bestehenden Strukturen die zur Bewältigung des digitalen Wandels erforderlichen Fähigkeiten hinreichend zur Verfügung stehen? Ein enger Austausch mit der Wirtschaft über die digitalen Kompetenzanforderungen ist hier ratsam. Um das aus demografischen Gründen schrumpfende Fachkräftepotenzial besser auszuschöpfen, sollte die Landespolitik das Thema „Ausbildungsreife“ ebenso im Blick behalten wie die weitere Verbesserung der Kinderbetreuung.
Handlungsbedarf gibt es schließlich bei der Verkehrs- wie der Breitbandinfrastruktur. Die Schließung von Lücken kann zur Steigerung der Wirtschaftskraft beitragen, wenn bislang abgelegene Regionen besser an bestehende Wirtschaftskreisläufe angebunden werden. Modernisierte Verkehrswege können nebenbei durch Verkürzung von Fahrtzeiten zur besseren regionalen Versorgung mit Fachkräften beitragen. Ein flächendeckender Ausbau der Breitbandversorgung schließlich ist ohnehin eine Grundvoraussetzung dafür, dass das Land Niedersachsen die Chancen der Digitalisierung überhaupt nutzen kann.