Dass Stellenanzeigen bei der Agentur für Arbeit oder gar in der Tageszeitung heute kaum noch Jugendliche dazu motivieren, sich für eine Ausbildung in einem bestimmten Unternehmen zu bewerben, ist den meisten Betrieben mittlerweile bewusst. Doch wie erreicht man die jungen Nachwuchskräfte heute am besten? Vor allem dann, wenn ihr Berufswunsch noch nicht klar umrissen und ihre Neugier auf unterschiedliche Branchen noch groß ist? Die Antwort ist bei Experten eindeutig: über die sozialen Medien. "Wir müssen die Jugendlichen da abholen, wo sie sind: Bei Instagram, Youtube und Co.", sagt Dr. Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall und Aufsichtsratsvorsitzender der IdeenExpo, Europas größtem MINT-Event für junge Menschen.
Aktuell sehen sich die Unternehmen quer durch alle Branchen mit zahlreichen Problemen in der Nachwuchsgewinnung konfromtiert: dem demografischen Wandel, einem anhaltenden Trend zur Akademisierung und zunehmende Defizite bei den Bewerberinnen und Bewerbern. "Vor allem die Corona-Pandemie mit Schulschließungen und schlecht organisiertem Homeschooling hat bei vielen Jugendlichen Defizite in der persönlichen und fachlichen Entwicklung verursacht", sagt Schmidt. "Diese wieder auszubügeln erfordert von den Unternehmen erhebliche Anstrengungen."
Dort präsent sein, wo die Jugendlichen sind
Durch den zunehmenden Fachkräftemangel können sich die jungen Menschen allerdings mittlerweile mehr oder weniger frei aussuchen, in welcher Branche sie arbeiten wollen – und für wen. "Der Fachkräftemangel ist ein Problem, das sich exponentiell vergrößert und massive Auswirkungen hat, etwa auf die Anstrengungen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien. Allein in der Klimatechnik fehlen aktuell 70.000 Fachkräfte", sagt Schmidt. Bei der Suche nach einem Ausbildungs- und Arbeitsplatz hingegen seien die Jugendlichen einer regelrechten Informationsflut ausgesetzt, die ihnen statt Orientierung eher Verwirrung bietet. "Im Zweifel wird einfach irgendwas studiert", so Schmidt. Das duale Studium allerdings begünstige die großen Betriebe, da sie die Kapazitäten haben, um eine solche Ausbildung anzubieten. "Mittelständler geraten hier durch ihre eingeschränkten Möglichkeiten ins Hintertreffen." Umso wichtiger seit der Einsatz von Social Media auch in kleineren Betrieben. "Wir müssen dort präsent sein, wo die Jugendlichen sind", sagt Schmidt.
Torben Dill, Strategischer Marketingberater bei Petersilien Marketing, präzisiert, wo sich die Zielgruppe genau aufhält und was sie erwartet: "Die interessanteste Zielgruppe für ein nachhaltiges Recruiting sind die Zwölf- bis 14-Jährigen. Sie sind noch in der Schule haben noch nur eine vage Vorstellung davon, was sie später einmal machen wollen." Diese Zielgruppe fände man gerade noch so auf Instagram, auf jeden Fall aber bei Youtube und auf TikTok. Allerdings erwarteten die jungen Nutzerinnen und Nutzer ganz unterschiedliche Formate auf diesen Plattformen, weshalb Unternehmen ihre Inhalte individuell für jeden Kanal entwickeln müssten und nicht ein Format überall posten. Während TikTok von kurzen, leicht konsumierbaren Teasern lebt, würden auf Youtube problemlos auch halbstündige Dokumentationen über die Ausbildung im Betrieb funktionieren, sofern sie denn unterhaltsam gemacht seien. "Der sogenannten Generation Z ist es nicht wichtig, dass man in den sozialen Medien präsent ist, sondern, dass man für gewisse Werte steht", sagt Dill. "Weiche Faktoren wie eine angenehme Unternehmenskultur haben deshalb eine hohe Bedeutung für Jugendliche bei der Auswahl ihres Arbeitgebers."
Offen sein und der Zielgruppe zuhören
Diese Erfahrung hat auch die nass magnet GmbH gemacht. Seit kurzem pflegt der Autozulieferer mehrere Social Media-Kanäle, unter anderem bei instagram, und stellt dort die familiäre Atmosphäre im Unternehmen in den Mittelpunkt. Als Mittelständler mit Sitz in Hannover haben wir starke Konkurrenz etwa durch VW und Continental, die uns Auszubildende und Mitarbeiter abwerben. Und die Suche nach neuem Personal ist immer sehr kostenintensiv", sagt Geschäftsführer Michael Weper. Unter anderem deshalb hat sich die Unternehmensleitung dazu entschieden, in die Präsenz in den sozialen Medien zu investieren.
Felicitas Kirchheim ist die Projektleiterin Social Media Recruiting bei nass magnet und hat mehrere Tipps: Man muss offen sein und mit der Generation, die man in den sozialen Medien erreichen will, sprechen – und ihr vor allem auch zuhören." Denn den Kanal nur zu benutzen, um Botschaften in die Welt hinauszuposaunen, führe schnell dazu, dass sich die Zielgruppe abwende. Auch sollte man als Unternehmen die Privatsphäre der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den sozialen Medien respektieren: "Es ist super, wenn unsere Mitarbeiter uns folgen – aber wir würden ihnen niemals zurückfolgen. Das erweckt den Anschein von Kontrolle. Ich würde mir ja selbst auch drei Mal überlegen, ob ich etwas poste, wenn mein Arbeitgeber mir folgt – und ihn dann im Zweifel sogar blockieren."
Menschen folgen Menschen
Auch die Siemens AG setzt stark auf Social Media im Recruiting – und hat damit bereits sehr gute Erfahrungen gemacht: "Die Hemmschwelle, jemanden anzuschreiben, ist auf Instagram viel geringer. Wir kriegen viele direct Messages mit Fragen zu Ausbildung und Studiengängen – viel mehr als es über unser Kontaktformular auf der Homepage sind", sagt Sophia Fittkau, People & Organization, Industrial Relations & Employment Conditions bei Siemens. Und: "Je persönlicher die Geschichte und je mehr der Mensch im Vordergrund steht, desto besser kommt die Story oder der Post an. Menschen folgen Menschen. Deshalb versuchen wir möglichst persönliche Einblicke zu geben."