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10. Juli 2019

Von den (B)Esten lernen: Nur zwei Minuten für die Steuererklärung

Zwanzig Minuten hat sich der deutsche Botschafter in Estland, Christoph Eichhorn, für seinen Vortrag vorgenommen.

Das sei schon das Zehnfache der Zeit, die ein Este benötigt, um seine Steuererklärung zu machen, rechnet er vor.

Die Beispiele für die gelungene Digitalisierung in Estland, die am Donnerstag bei einer Veranstaltung des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums während der „digitalen Woche“ in Osnabrück vorgetragen wurden, sind vielfältig und eindrücklich. Fünfzehn Minuten dauere in Estland eine Firmengründung, erklärt Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert. In Deutschland dauere dieser Akt oft länger als das Unternehmen letztlich bestehe. Überhaupt gehe der Este nur noch zu drei Anlässen zu einer Behörde: wenn er heiratet, sich scheiden lässt oder ein Haus kauft.

Botschafter Eichhorn hat neben der Steuererklärung noch zwei andere Beispiele im Gepäck. Ärztliche Rezepte gibt es in Estland nicht mehr auf Papier. Der Este gehe nur noch in irgendeine Apotheke, wo er seine Chipkarte ins Lesegerät steckt und zwei PIN-Nummer eingibt. Genauso beim Autokauf: Vom Unterzeichnen des Kaufvertrags über die Bezahlung bis zur Zulassung läuft in Estland alles digital. 1407 Jahre an Behördenarbeit werden in Estland so jährlich eingespart, wollen Experten ausgerechnet haben.

Wenn in Hannover über Digitalisierung diskutiert werde, gehe es oftmals nur um Breitbandausbau, klagt hingegen Digitalisierungs-Staatssekretär Stefan Muhle. Doch immerhin: Am Mittwochabend hat der Haushaltsausschuss des Bundestags Niedersachsen in dieser Frage einen deutlichen Anschub gegeben. Mit 12 Millionen Euro wird in Braunschweig und Wolfsburg eine Modellregion zur Erprobung der 5G-Technologie entstehen. „Bei der Infrastruktur müssen wir viel aufholen“, sieht Muhle ein. Darüber hinaus gehe es aber auch darum, Impulse zu setzen, zum Beispiel durch einen finanziellen „Digitalbonus“. Sorgen macht sich der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium allerdings um die Situation in den Behörden: „Haben wir das entsprechende Knowhow in den Ministerien? Sitzen dort die richtigen Leute, die die Komplexität verstehen und wissen, was wir morgen brauchen?“ Es sei deshalb wichtig, so Muhle, dass man die junge Generation einbinde. „Wenn Digitalisierung in Deutschland gelingen soll, müssen wir auf die zugehen, die es können.“ Gemeint sind damit die jungen Menschen, aber eben auch der nördlichste der baltischen Staaten. Von diesem solle Niedersachsen lernen.

Jede Person, jeder Betrieb, jede Straße bekommt eine ID

Aber wie ist gerade Estland zum europäischen Vorreiter bei der Digitalisierung geworden? Einen Grund erkennen die Experten auch dort in der Jugend. Dass ein Regierungschef erst 36 Jahre alt ist, wenn er ins Amt kommt, ist in Estland nicht ungewöhnlich. Damit einher gehe oftmals auch eine Technologieoffenheit, beschreibt Botschafter Eichhorn. Eine wichtige Weichenstellung sei es auch gewesen, dass Estland nach dem Ende der Sowjetunion schnell nach einer Abgrenzung vom Osten gesucht habe. Über Kooperationen zwischen Staat und Privatwirtschaft, das sogenannte Public Private Partnership, sei sehr früh eine Menge gewachsen.

Die Banken aus skandinavischen Ländern brachten schnell das Online-Banking. Die Regierung unterstützte den nötigen Ausbau der Infrastruktur und kombinierte dies sogleich mit dem Ausbau der E-Governance. Gerade in diesem Bereich ist Estland nun Spitzenreiter, erklärt Digitalisierungs-Professor Robert Krimmer von der Tallin University of Technology. Jede Privatperson, jeder Betrieb, jede Universität und jede Straße sei IT-mäßig erfasst und habe mittlerweile eine ID. Über die sogenannte X-Road sind alle Orte, an denen Daten erfasst werden, miteinander verbunden. Einmal eingegebene Daten, etwa bei der Steuererklärung, müssen kein zweites Mal eingetragen werden, auch im Folgejahr nicht.

Experte über Estland: Datenhoheit „erstmals wirklich gegeben“

Entscheidend für die Akzeptanz in der Gesellschaft sei, dass Staat und Wirtschaft zusammenarbeiteten. Online-Überweisungen seien etwas, woran die Bürger täglich merkten, dass es funktioniert. Die elektronischen Wahlen etwa zum nationalen oder Europäischen Parlament dagegen seien etwas Spannendes, das die Bürger „bei der Stange halte“. Weil die Bevölkerung merkt, dass es funktioniert, wachse auch das Vertrauen in das System. Dieses System ermögliche überhaupt erstmals eine wirkliche Datenhoheit, erklärt Krimmer. Denn jeder Este kann ganz genau einsehen, welche Daten wo gespeichert werden, und festlegen, wer welche Zugriffsrechte bekommt.

Bei unzulässigen Datenabfragen drohen empfindliche Strafen. Auch das schaffe Vertrauen. Botschafter Eichhorn stellt fest, dass in Deutschland die Debatte jedoch häufig mit dem Datenschutz erschlagen werde. Außerdem warte man hierzulande immer auf ein Gesamtkonzept, anstatt sich mal etwas zu trauen und dann pragmatische Lösungen für auftretende Probleme zu suchen.

Von Estland lernen

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