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Tarifpolitik
17. Juli 2020

Verhandlungsführer NiedersachsenMetall über Corona und Autobranche

Nach Corona nicht in alle alten Gewohnheiten zurückfallen – dafür plädiert Torsten Muscharski, Verhandlungsführer von NiedersachsenMetall.

Die Krise biete große Chancen, jetzt vieles zu überdenken.

Der Shutdown geht zu Ende. Die meisten Geschäfte und Restaurants haben geöffnet, Fabriken produzieren wieder. Wie sich die Corona-Krise auf die jüngste Tarifrunde in der Metall- und Elektro-Industrie auswirkte und was für Folgen sie für die Branche hat, erklärt Torsten Muscharski, Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbands NiedersachsenMetall, im aktiv-Interview.

Herr Muscharski, wie haben Sie den Ausbruch der Pandemie erlebt?

Ich war Anfang des Jahres auf Dienstreisen in Japan, Südafrika und Indien und wurde dort mit den sehr strengen Gesundheitschecks konfrontiert. Da habe ich gemerkt: Corona ist mehr als nur eine Grippe. In Videokonferenzen mit Kollegen in aller Welt wurde mir klar, dass der Shutdown der Wirtschaft nötig war. Mein Respekt vor der Politik ist mächtig gewachsen. Wer Entscheidungen für mehr als 80 Millionen Menschen trifft, erntet stets unterschiedliche Reaktionen. Anderer Meinung zu sein, ist legitim. Unsachliche Kritik finde ich unangemessen.

Wie hat Volvo auf Corona reagiert?

Wir produzieren Lkws, Baumaschinen und Busse in vielen Ländern und haben weltweite Hygiene-Vorschriften entwickelt: Abstand halten, Schutzmaske tragen, Hände und Sozialräume desinfizieren – all das ist inzwischen Standard. Pausenzeiten und Schichtübergaben wurden neu organisiert. Nicht selten mussten zusätzliche Schichten eingeführt werden. Dabei blieb es aber nicht. Von unseren 100.000 Mitarbeitern waren Ende April zwei Drittel in Kurzarbeit. Wir haben gelernt, dass Kommunikation in diesen schwierigen Zeiten besonders wichtig ist.

Wie bewerten Sie die staatliche Unterstützung hierzulande?

Das ist keine normale Krise. Es ist wichtig, die Liquidität der Firmen zu sichern – ob durch Kredite der Förderbank KfW oder Landeszuschüsse. Ich habe den Eindruck: Kaum ein anderes Land auf der Welt unterstützt seine Unternehmen und deren Mitarbeiter so gut und schnell wie Deutschland. Schon in der Finanzkrise 2008/2009 war Deutschland mit der Kurzarbeit sehr erfolgreich, weil die Firmen ihre Fachkräfte an Bord behielten. Aus gutem Grund setzen heute auch viele andere Länder auf dieses Instrument.

Auch die deutsche Sozialpartnerschaft gilt ja als vorbildlich.

Die jüngste Tarifrunde ist da ein gutes Beispiel. Seit vielen Monaten beschäftigen uns in der Metall- und Elektro-Industrie die drastischen strukturellen Umwälzungen in der Autobranche. Mit Ausbruch der Corona-Krise verschärfte sich dann die Situation fast täglich. Arbeitgeber und Gewerkschaft sahen sich daher gezwungen, die Verhandlungen zu beschleunigen, um möglichst rasch sichere Rahmenbedingungen für die Unternehmen und die Mitarbeiter zu schaffen. Die Tarifgespräche waren daher überlagert von der sehr schwierigen Situation der Branche. Die schnelle Einigung war mehr als vernünftig.

Worin sehen Sie die Vorteile des neuen Tarifvertrags?

Er bringt Verlässlichkeit für die Planung unserer Betriebe. Wir haben unter zeitlichem Hochdruck an einer effizienten Lösung gearbeitet, die gleichzeitig auch Ausdruck der sozialen Verantwortung ist. Ich bin sicher, dass die Tarifparteien einen wichtigen Beitrag für die Zukunft der Betriebe geleistet haben.

Wird sich die Krise auch auf die Tarifverträge auswirken?

Corona bietet uns eine große Chance. Wir sollten jetzt vieles überdenken und nicht in alte Gewohnheiten zurückfallen. Ich bin ein Anhänger des Flächentarifvertrags. Wir sollten ihn stabilisieren. Aber die Zeiten, in denen der Tarifvertrag für alle betrieblichen Probleme Lösungen bietet, sind vorbei. Wir sollten den Mut haben, zukünftig stärker Rahmenbedingungen vorzugeben und die Umsetzung den Betriebsparteien zu überlassen.

Arbeitsminister Hubertus Heil möchte ein Recht auf Homeoffice durchsetzen. Was halten Sie davon?

Überhaupt nichts! Wir beobachten bei Volvo, dass viele Mitarbeiter Homeoffice nicht so toll finden und die sozialen Kontakte bei der Arbeit vermissen. Homeoffice kann zu Vereinsamung führen. Es wäre deshalb falsch, alle Mitarbeiter über einen Kamm zu scheren. Wir brauchen keine gesetzlichen Regelungen, sondern betriebliche Flexibilität. Unser Tarifvertrag zum Mobilen Arbeiten gibt da bereits ausreichend Unterstützung.

Wie verändert Corona den betrieblichen Alltag?

Die Digitalisierung bekommt einen enormen Push, in Produktion und Verwaltung. Man kann ein Unternehmen über Telefon- und Videokonferenzen lenken. All das funktioniert plötzlich. Aber andere Länder haben eine andere Kultur. Wir können deshalb auf menschliche Begegnungen nicht völlig verzichten.

Zur Person

Torsten Muscharski von Volvo

  • Der Manager ist Direktor für Sozialpartnerschaft in der weltweiten Volvo-Gruppe mit 100.000 Mitarbeitern.
  • Seit 2017 ist Muscharski Vorsitzender der Tarifkommission der niedersächsischen Metall- und Elektro-Industrie.
  • Die Volvo Group ist einer der weltweit führenden Hersteller von Lastwagen, Bussen, Baumaschinen sowie Boots- und Industriemotoren.

Die Corona-Krise

Auswirkungen auf die Metall- und Elektroindustrie

 81 Prozent der Betriebe haben einen Nachfrageeinbruch.

1.550.000 Beschäftigte sind derzeit in Kurzarbeit.

49 Prozent kürzer arbeiten diese Kolleginnen und Kollegen im Schnitt.

Zum Interview AKTIV online

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