Unternehmen reagieren bisher gelassen auf Trump-Äußerungen.
„Die Industrie insgesamt nimmt wieder Fahrt auf, der negative Trend bei den Investitionen der M+E-Industrie in Niedersachsen hat sich erstmals seit 2013 nicht weiter verschärft.“ So fasst Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der Gemeinschaft der Arbeitgeberverbände im Haus der Industrie in Hannover, die Ergebnisse einer Umfrage unter rund 900 Mitgliedsunternehmen der Industrieverbände im Haus der Industrie zusammen.
„Jedes vierte Unternehmen der M+E-Industrie meldet eine bessere Lage bei Auftragseingängen, knapp 40 Prozent erwarten eine höhere Produktion als 2016.
Dabei werbe die Industrie zwar weiter intensiv um Fachkräfte, rund 30.000 Stellen in Niedersachsen blieben aber unbesetzt. Laut Schmidt bleibe das Wachstum in Deutschland und in Niedersachsen weiterhin vornehmlich vom privaten und staatlichen Konsum getragen. Im Bereich der Investitionen erlebe man zwar keinen Boom, aber zumindest eine Stabilisierung, wenn auch auf niedrigem Niveau. Investitionsauf- und abbau halten sich die Waage. Kapazitätsaufstockungen finden dagegen verstärkt im Ausland statt.
Dabei bleibe die insgesamt positive konjunkturelle Entwicklung von bemerkenswerten strukturellen Verschiebungen überlagert: „Einerseits profitieren wir wie keine andere Branche davon, dass die Welt immer stärker zusammenwächst und etwa unsere Maschinen- und Anlagebauer zum Aufbau neuer Produktionsstätten im Ausland gebraucht werden, andererseits erfolgt die Belieferung dieser Märkte insbesondere in der Automobilindustrie und bei den Zulieferern nur noch zum Teil vom Standort Niedersachsen aus.“
Trump hebt den Begriff „Voodoo-Ökonomie“ auf ein neues Level
Schmidt zog außerdem ein Fazit der Reaktionen der Industrie auf die ersten Wochen der Trump-Administration: „Auch wenn das Tohuwabohu, das Präsident Trump veranstaltet, alles andere als geeignet ist, Investitions- und Planungssicherheit zu geben, stellen wir erfreut fest, dass unsere Industrie überwiegend selbstbewusst auf die bisherigen Ankündigungen des neuen amerikanischen Präsidenten reagiert. Man verfällt nicht in Panik.“
Es erscheine bei näherer Betrachtung mehr als unrealistisch, dass Donald Trump mit seinen Vorschlägen von heute auf morgen die versprochenen zigtausend Industriearbeitsplätze aus dem Boden stampfen kann. Schmidt: „Donald Trump hebt den Begriff ‚Voodoo-Ökonomie‘ gerade auf ein ganz neues Level. Will Trump den Industriestandort USA um jeden Preis fördern, dann ist er zwingend auf Investitionsgüter deutscher Unternehmen angewiesen. Die USA brauchen den deutschen Maschinenbau und unsere Elektroindustrie, denn es gibt seit über drei Jahrzehnten kaum noch einen wettbewerbsfähigen amerikanischen Werkzeugmaschinenbau, die USA sind sozusagen strukturell mittlerweile auf Import angewiesen, z.B. Pressen im Automobilbau, Fräsmaschinen im Maschinenbau, Laseranlagen für die Blechbearbeitung, Kraftwerkstechnik und anderes mehr.“
Laut Schmidt haben die USA ihre Industrie über Jahrzehnte vernachlässigt und in einem möglichst hohen Dienstleistungsanteil die Quelle künftigen Wohlstands gesehen. „Um überhaupt wieder eine wettbewerbsfähige Industrie zu etablieren, dürfte es mindestens 10 bis 15 Jahre dauern.“
All das könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass man durchaus eine Eintrübung der Stimmung, was die Exportaussichten in die USA, aber ebenso in das Vereinigte Königreich betrifft, registriere: „Für Großbritannien ist hierfür vor allem die Hängepartie der Brexit-Verhandlungen verantwortlich und die Unsicherheit, was am Ende dabei rauskommt. Die offenen Fragen sind: Zukunft der Arbeitnehmerfreizügigkeit, künftige Ausgestaltung der Handelsbeziehungen mit dem EU-Binnenmarkt, Erhebung von Zöllen.“
Fachkräftemangel wird zur Wachstumsbremse in der Fläche
Der ländliche Raum droht, laut Schmidt, künftig bei den Themen Digitalisierung und Fachkräftemangel den Anschluss zu verlieren: „Wir müssen Acht geben, dass es keine weitere Spaltung zwischen Ballungsraum und Fläche in Niedersachsen gibt.“ Hier sei im Übrigen auch eine Bundesgesetzgebung nicht hilfreich, die den Fachkräftemangel noch einmal verschärft habe: „Durch die Rente mit 63 etwa haben wir per Federstrich allein in der Metall-und Elektroindustrie bundesweit seit der Einführung 2014 rund 25.000 Fachkräfte verloren.“ 79 Prozent der Industriebetriebe im ländlichen Raum hätten mittlerweile extreme Probleme, freie Stellen mit Fachkräften zu besetzen. In den Ballungsgebieten liegt dieser Wert bei 48 Prozent.
Auch beim Thema Digitalisierung sei eine wachsende Kluft zwischen Stadt und Land festzustellen: „Die Digitalisierung der Prozesstechnik wird über alle Betriebsgrößen fast ausnahmslos als Chance gesehen, aber nur 11 Prozent der Industrieunternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten haben sich bisher mit 4.0-Strategien und deren Anwendung intensiver beschäftigt, 24 Prozent der Betriebe mit 100 bis 499 Beschäftigten, aber immerhin schon 62 Prozent der Betriebe mit über 500 Beschäftigten.“ Ein Auseinanderdriften von Stadt und ländlichem Raum sei so gesehen auch Reflex unterschiedlicher Unternehmensstrukturen: „Großbetriebe findet man eher in Ballungsräumen, KMU überwiegend in der Fläche.“
„Local Branding“ - Employer Branding für Niedersachsen
Schmidt appelliert an die Politik, beim Thema Fachkräftemangel stärker in unternehmerischen Kategorien zu denken: „Der Fachkräftemangel ist auf Niedersachsen nicht beschränkt, wir gehen daher davon aus, dass nicht nur zwischen den Bundesländern der Wettbewerb um weiche Standortfaktoren zunehmen wird, sondern auch mit anderen Regionen in Europa. Für die meisten Unternehmen gehört „employer branding“ mittlerweile zur Unternehmensräson. Warum sollte man also auch als Land nicht attraktive Rahmenbedingungen bieten und vor allem bewerben, also eine Art „local branding“ betreiben?“
Neben harten Faktoren wie Investitionsfreundlichkeit, Energiekosten und Infrastruktur sollten künftig noch stärker Aspekte wie Familienfreundlichkeit, Bildungsmöglichkeiten oder auch der Freizeitwert vor Ort mit in die Standortkommunikation einbezogen werden. So sei es der richtige Weg, bei Bildung auf Kostenfreiheit zu setzen. Hier lege die Landesregierung den richtigen Schwerpunkt, etwa durch kostenfreie Kitas, den Wegfall der Studiengebühren und die Rückkehr zu G9 mit der Option auf G8. „Mit der kostenfreien Kita lässt es sich als familienfreundliches Land punkten, gerade wenn es darum geht, Fachkräfte aus anderen Regionen für Niedersachsen zu begeistern. Wir in Niedersachsen wären gut beraten, mehr Bewusstsein für das zu entwickeln, was in anderen Bundesländern passiert und uns der Tatsache zu vergegenwärtigen, dass Niedersachsen im Standortwettbewerb mit anderen steht.“
Was jetzt Not tut: Ein Investitionsruck für Deutschland
Schmidt stellte fest, dass die laufende Legislaturperiode im Bund die erste überhaupt sei, in der es nicht eine einzige steuerpolitische Maßnahme zugunsten des Mittelstandes in Deutschland gegeben habe, was vor dem Hintergrund der immensen Herausforderungen in der Industrie nicht nachvollziehbar sei. „Wir brauchen einen Investitionsruck auf breiter Front, dieser muss steuerpolitisch unterstützt werden.“
Die Initiative der Niedersächsischen Landesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Mittelstand zeigt den Weg auf, auch begrüßen wir, dass es jetzt offenbar wenigstens erste Planungen in der Bundesregierung gibt, die Wertgrenze für Sofortabschreibungen bei geringwertigen Wirtschaftsgütern nach immerhin 54 Jahren nunmehr von 410 Euro in Richtung 1.000 Euro im Jahr 2018 zu verdoppeln. Schmidt: „Wir werden als Industriestandort nur eine Chance haben, wenn wir FuE in Deutschland stärken und insbesondere die mittelständische Industrie stärker in die Lage versetzen, gut bezahlte Fachkräfte zu gewinnen und auch in die Fläche zu bekommen. Deswegen ist die FuE-Initiative so wichtig, die ja offenbar in Berlin immer mehr Befürworter findet. Darüber hinaus plädieren wir weiter für eine Rückkehr zur degressiven AfA, die keine Steuerausfälle nach sich zieht, aber gerade den Mittelstand zu Beginn einer Investition mit stärkerer Liquidität ausstattet.“