Mit Bestürzung reagiert die Wirtschaft in Niedersachsen auf die in der vergangenen Nacht von Ministerpräsidenten und Kanzlerin gefassten Beschlüsse zu den neuen Corona-Regeln. Besonders die kurzfristige Ankündigung, das Land über Ostern in einen weiter verschärften Lockdown zu schicken, hat Fassungslosigkeit in den Betrieben ausgelöst. „Es grenzt schon an ein politisches Kunststück, nach einem Jahr Pandemiebekämpfung mit einem derartigen Vorschlag noch ein Höchstmaß an Verwirrung zu stiften“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall.
Seit Bekanntgabe der neuen Regelungen erhalte der Verband Hunderte Anrufe von verunsicherten Unternehmen, die sich nun mit einer Vielzahl offener Fragen konfrontiert sehen. Wie etwa der Auslegung des Ruhetags am Gründonnerstag, der Frage nach finanziellem Ausgleich für den Produktionsausfall oder der Praktikabilität der verlängerten Ruhezeit in der Logistik. „Angesichts der neuen Vorgaben muss man sich fragen, ob die Politik in Berlin überhaupt eine Vorstellung davon hat, wie die Wirklichkeit in den Betrieben aussieht“, kritisiert Schmidt.
Stimmung kurz vorm Bersten
Werde der Gründonnerstag tatsächlich als zusätzlicher arbeitsfreier Tag bewertet, so koste das die Metall- und Elektro-Industrie in Niedersachsen rund 750 Millionen Euro Umsatzausfall. Zudem könne man viele Produktionsanlagen nicht einfach für wenige Tage komplett herunterfahren. „Die Beschlüsse sind weitab von jeder betrieblichen Realität“, sagt Schmidt. Die Stimmung in der Gesellschaft, aber vor allem in den Unternehmen, sei spätestens jetzt kurz vorm Bersten.
Schmidt bemängelt zudem, dass trotz Warnungen immer noch am inzidenzwert als alleiniger Richtgröße festgehalten werde. „Wie wir schon nach der letzten Ministerpräsidentenkonferenz angemerkt haben, wird die angekündigte massive Ausdehnung der Tests den Inzidenzwert noch weiter nach oben treiben.“ Die neuerliche Ankündigung der Politik, die Tests nach Ostern massiv ausweiten zu wollen, werde dazu führen, dass man zum Zeitpunkt des nächsten Zusammentreffens von Ministerpräsidenten und Kanzlerin vermutlich über Inzidenzwerte um 300 reden wird. In Konsequenz müssten die Beschlüsse dann noch weiter verschärft werden. Schmidt: „Das würde auf einen Lockdown ohne Ende zulaufen. Das ist Politikversagen“.
Deutschland soll sich an Österreich ein Beispiel nehmen
Statt des starren Festhaltens am Inzidenzwert solle sich Deutschland am Nachbarland Österreich ein Beispiel nehmen. Dort werde neben dem Inzidenzwert und den Intensivkapazitäten künftig auch die Durchimpfungsrate der älteren Bewölkerung in die Bewertung der Lage und der zu treffenden Maßnahmen miteinfließen. „Denn das sind die entscheidenden Größen zur Bewertung der Belastung unseres Gesundheitssystems, dessen Leistungsfähigkeit doch der entscheidende Maßstab bei der Pandemiebekämpfung sein sollte“, sagt Schmidt. Mit dem verengten Blick auf den „über alles“ entscheidenden Inzidenzwert sei die Bundesrepublik in der argumentativen Sackgasse gelandet. „Die Kollateralschäden der Pandemiebekämpfung wachsen uns über den Kopf. Angesichts dessen ist der jetzt geschlossene Kompromiss einfach nicht mehr nachvollziehbar“, so Schmidt.