„Es steht viel auf dem Spiel.“
„Wenn man die wirtschaftliche Situation unserer Industriebetriebe in Niedersachsen zu Beginn dieses Jahres umschreiben will, würde man sagen: ‚durchwachsen‘. Will man die wirtschaftlichen Erwartungen für das Jahr 2016 in einem Wort zusammenfassen, trifft es wohl der Begriff ‚Unsicherheit‘ am ehesten.“ So hat Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der im Haus der Industrie zusammengeschlossenen Arbeitgeberverbände, die Ergebnisse einer heute in Hannover vorgestellten Konjunkturumfrage unter den Mitgliedsfirmen der Verbände zusammengefasst. „Jedes dritte Unternehmen der Dienstleistungsbranche - allerdings nur noch jeder fünfte (20 Prozent) M+E-Betrieb - geht für das kommende Jahr von weiter steigenden Auftragseingängen aus.“
Schmidt machte die Unsicherheit in den Unternehmen an zahlreichen Gründen fest: „Die wachsenden geopolitischen Risiken im Nahen und Mittleren Osten spielen eine gewichtige Rolle, genauso wie die sich verfestigende Rezession in wichtigen rohstoffabhängigen Exportnationen wie Brasilien, Russland, Venezuela und Mexiko. Dazu kommt die Unsicherheit über das wahre Ausmaß des Abschwungs in China, über die Bewältigung der Zuwanderung von Flüchtlingen nach Europa, über den Ausgang der bevorstehenden Tarifrunden und nicht zuletzt speziell unter den Autozulieferern über das Ausmaß der Absatzkrise bei Volkswagen.“
Außerdem konstatierte Schmidt im vierten Jahr in Folge einen Rückgang der Investitionspläne: „Fast jedes dritte Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie nimmt gegenüber dem schwachen Jahr 2015 die Investitionspläne weiter zurück. Wer pessimistisch in die Zukunft blickt, hält sich auch mit Investitionen zurück.“ Nahezu spiegelbildlich verlaufe die Beschäftigungsentwicklung: „Der fünf Jahre anhaltende Beschäftigungsaufbau war bereits im Frühjahr 2015 erlahmt. Für das Jahr 2016 schließen wir erstmals seit 2009 einen Personalabbau nicht aus. Dafür spricht, dass fast jedes dritte Unternehmen entweder fluktuationsbedingt freiwerdende Arbeitsplätze nicht wieder besetzen will oder insbesondere in den rohstoffverarbeitenden bzw. explorationsnahen Branchen deutliche Personalanpassungen geplant sind. Dagegen wollen nur 16 Prozent der Betriebe aufstocken.“
Konsumgetriebener Aufschwung nützt Industrie wenig
Schmidt bezeichnete die EU-Staaten und die USA als Stützen der Weltkonjunktur. Diese Stabilität liefe aber bestenfalls auf Zeit: „Der schwache Euro und der Ölpreisverfall wirken allenfalls vorübergehend. Der Ölpreis wird 2016 kaum um weitere 50 Prozent fallen und auch der Eurokurs wird in diesem Maße nicht noch einmal sinken. Als Ergebnis von Ölpreisverfall und hohen Lohnabschlüssen in den vergangenen Jahren erleben wir derzeit einen konsumgetriebenen Aufschwung, der unserer Industrie aber wenig nutzt. Denn die privaten Verbraucher kaufen in der Regel keine Schiffsgetriebe oder Werkzeugmaschinen.“
Schmidt mahnte an, dass der Konsumaufschwung kaschiert, dass infolge rückläufiger Investitionen in der Industrie der Kapitalstock der Unternehmen weiter schrumpft: „Die Abschreibungen sind höher als die Investitionen, das Netto-Anlagevermögen schrumpft, es wird weiter desinvestiert. Das bedeutet, dass auch der technologische Fortschritt mittelfristig sinkt und die Arbeitsplätze hierzulande an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Volkswirtschaften einbüßen, in denen deutlich mehr in moderne Anlagen und moderne Arbeitsplätze investiert wird. Die nachhaltige Investitionsschwäche hat sich mittlerweile zu einer echten Achillesferse der deutschen Volkswirtschaft entwickelt.“
Schmidt forderte daher von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis für mehr Investitionen in Deutschland. Ein solcher Kraftakt wäre die kurzfristige Wiedereinführung der degressiven AfA für Maschinen und Anlagen und eine unbürokratische Förderung von FuE-Personal in kleinen und mittleren Unternehmen, so wie es ein Vorschlag der Niedersächsischen Landesregierung vorsehe.
Beschäftigung von Flüchtlingen: Optimismus weicht Ernüchterung
Die Bereitschaft der Betriebe, Flüchtlinge einzustellen, sei unverändert hoch, erläuterte Schmidt weiter. „Gleichwohl ist der im Herbst 2015 noch vorherrschende vorsichtige Optimismus, mit Zuwanderern auch dem Fachkräftemangel begegnen zu können, zumindest in der Industrie einer gewissen Ernüchterung gewichen. Nur noch 20 Prozent der Betriebe gehen davon aus, mit Flüchtlingen der sich abzeichnenden Fachkräftelücke zu Leibe rücken zu können.“
Dabei werde als ein entscheidender Schritt für die berufliche Eingliederung ein mehrmonatiges, berufsorientiertes Praktikum gesehen. Dabei erachten allerdings über 80 Prozent der Unternehmen eine Dauer von drei Monaten als nicht ausreichend, um eine realistische Einschätzung der Bewerber abgeben zu können: „Das zeigt einmal mehr die falsche Weichenstellung der Regelungen zum Mindestlohn. Sie wirken faktisch gegen diejenigen, denen man eigentlich helfen wollte.“
Tarifrunde 2016: Es steht viel auf dem Spiel.
Mit Blick auf die kommende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie wies Schmidt auf die wachsende Unzufriedenheit der Unternehmen mit den Verhandlungsergebnissen hin: „Allein zwischen 2012 und 2015 sind die Tariflöhne in der Metall- und Elektroindustrie um 14 Prozent gestiegen. Gerade der letzte Abschluss war in Niedersachsen höchst umstritten und hat NiedersachsenMetall vor eine Zerreißprobe gestellt. Es überrascht nicht, dass sich mittlerweile jedes dritte Unternehmen vorstellen kann, bei einem unzumutbar hohen Tarifabschluss den Flächentarif verlassen zu wollen.“
Schmidt abschließend: „In dieser Tarifrunde steht viel auf dem Spiel. Daher appellieren wir an die IG Metall: Lassen Sie uns gemeinsam diese Tarifrunde nutzen, um ein kräftiges Signal für den Flächentarifvertrag zu geben. Ein Paket aus einem maßvollen Tarifabschluss und einer Investitionsoffensive der Bundesregierung würde einen Ruck für den Industriestandort Deutschland bedeuten.“
Für die Umfrage wurden im Januar 2016 die rund 800 Mitgliedsunternehmen der Arbeitgeberverbände befragt. Bei den befragten Unternehmen handelt es sich um Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie und der Kautschukindustrie - darunter zahlreiche Automobilzulieferer - der Papier- und Verpackungsindustrie, der Kunststoffindustrie sowie Handel und Dienstleistungen.