Pressemitteilung
16. Oktober 2015

„Konjunktur gespalten, Industrie nimmt Investitionen in Deutschland weiter zurück: Es ist ein ‚Auf‘ ohne Schwung.“

Arbeitgeberverbände geben Konjunktur-Ausblick

„Wir erleben derzeit ein ‚Auf‘ ohne Schwung. Grund ist die Spaltung der konjunkturellen Entwicklung, die wir bereits im Frühjahr festgestellt haben hat sich im Jahresverlauf 2015 verfestigt hat. Auf der einen Seite stehen Handel und Dienstleistungen, die von einem starken privaten Konsum getragen werden, auf der anderen Seite wächst die Unsicherheit in der Industrie, die weit überwiegend auf Auslandsmärkten operiert. Wir gehen davon aus, dass 2016 Handel und Dienstleistungen einerseits und die Industrie andererseits noch weiter auseinander driften werden“, resümiert Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der im Haus der Industrie zusammengeschlossenen Arbeitgeberverbände aus den Ergebnissen der heute in Hannover vorgestellten Konjunkturumfrage unter den Mitgliedsfirmen der Verbände für das zweite Halbjahr 2015 und das Jahr 2016. „Jedes Dritte Unternehmen der Dienstleistungsbranche, allerdings nur noch 14 Prozent der M+E-Betriebe gehen für das kommende Jahr von weiter steigenden Auftragseingängen aus.“ Die Umfrage war an 800 Mitgliedsunternehmen aus der Metall- und Elektro- und der Kautschukindustrie, der Automobilindustrie sowie aus den regionalen Arbeitgebervereinigungen gerichtet.

„Die wichtigste Wachstumsstütze der allgemeinen Konjunkturentwicklung bleibt der private Verbrauch vor allem dank der Kaufkraftgewinne der Verbraucher wegen sinkender Energiepreise und hoher Lohnabschlüsse“, so Schmidt weiter. Der Hauptgeschäftsführer spricht daher von einer „zum großen Teil nur geliehenen wirtschaftlichen Belebung. Diese kann allerdings bei einem Drehen der Rohstoffnotierungen morgen auch schon wieder vorbei sein. Es ist eine geliehene Stärke. Auch deswegen sind wir von einem selbsttragenden Aufschwung gegenwärtig meilenweit entfernt.“

Konjunkturumfrage II 2015 am 16.10.2015

Beschäftigungsmotor kommt zum Stehen – Lohnstückkosten auf höchstem Stand seit 2008

Der seit 2010 nahezu ununterbrochene Arbeitsplatzaufbau in der niedersächsischen Industrie bei Maschinenbau, Elektronik, Anlagenbau, Gießereien und Fahrzeugzulieferern kommt, laut Schmidt, zum Stillstand: „Seit 2010 wurden in der M+E-Industrie allein in Niedersachsen 30.000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Wir erwarten für 2016 allerdings keine nennenswerte Erhöhung der Beschäftigung in unseren Industriebetrieben mehr. Insbesondere in der Metall- und Elektroindustrie ist der Beschäftigungsmotor zum Stehen gekommen. Nur noch jeder sechste Betrieb plant für 2016 mit einem weiteren Aufbau des Mitarbeiterstammes, während fast ein Drittel der Unternehmen Beschäftigung abbauen wollen.“ Die Lohnstückkosten in der M+E-Industrie liegen mittlerweile auf dem höchsten Stand seit 2008.

BRIC-Staaten bereiten Probleme, USA und Europa stabilisieren Exportgeschäft

Was die Exportmärkte im kommenden Jahr betrifft, erwartet Schmidt stabilisierende Einflüsse aus den USA und Europa: „Hier ist allerdings der Wettbewerb deutlich härter als in den so genannten BRIC-Staaten. Letztere haben derzeit mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen, was aber durch die vieles andere überdeckende Berichterstattung über die Flüchtlingskrise derzeit öffentlich kaum stattfindet. Und auch in Europa drohen sich in 2016 und danach, starke Zentrifugalkräfte zu entwickeln, die die Unsicherheit der Investoren befeuert: Großbritannien steht die Abstimmung über einen möglichen ‚Brexit‘ ins Haus, die griechische Schuldenkrise ist alles andere als beendet und in Frankreich wie auch in vielen anderen EU-Staaten gewinnen nationalistische Kräfte wie der Front National zusehends an Einfluss – allesamt Entwicklungen mit ungewissem Ausgang.“ Auch daraus folgt, dass nur noch 6 Prozent der Unternehmen bessere Exportaussichten für 2016 erwarten.

Die Hysterie der Finanzmärkte über China steht, laut Schmidt, mitunter in einem deutlichen Gegensatz zu den realwirtschaftlichen Auswirkungen in unseren Betrieben: „Gleichwohl sollte man nicht unterschätzen, dass China für den gesamten asiatischen Raum einen Wachstumspol darstellt und eine Eintrübung des dortigen Wirtschaftsklimas sich unmittelbar auswirkt auf die Wachstumsperspektiven der asiatischen Schwellenländer und damit auf die Exportaussichten auch unserer Industrien.“ 

Investitionen gehen ins Ausland – „Forschung und Entwicklung“ muss gefördert werden

Schmidt wertet es als Alarmzeichen, dass die Betriebe der niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie ihre Investitionspläne im vierten Jahr hinter einander zurückfahren. Die ausgeprägte Zurückhaltung, zusätzliche Produktionskapazitäten in Deutschland aufzubauen, habe mittlerweile auch weite Teile der mittelständischen Industrie erfasst, erläutert Schmidt. Es werde zwar weiter investiert, Investitionskapital fließe aber vorzugsweise ins Ausland: „Der Standort Deutschland ist aus Sicht vieler Betriebe der Metall- und Elektroindustrie nicht mehr erste Wahl. Gerade in multinational agierenden Unternehmen herrscht ein bisher nicht gekannter Wettbewerb um Investitionsbudgets. ‚Wir forschen und entwickeln für die ganze Welt‘ – dieser Satz ist für den Standort Deutschland nicht mehr in Stein gemeißelt.“

Vor diesem Hintergrund erneuerte Schmidt noch einmal den Appell an die Politik, Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland steuerlich stärker zu fördern: „Die Landesregierung ist hier mit ihrer Initiative auf dem richtigen Weg.“

Skepsis hinsichtlich des Qualifikationsniveaus von Flüchtlingen – Chance für duale Ausbildung

Die befragten Unternehmen setzen sich aktiv mit der Frage auseinander, ob und wie Flüchtlinge beschäftigt werden können. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen fielen jedoch für die verschiedenen Branchen sehr unterschiedlich aus. „Der überwiegende Teil der Firmen hat sich bereits mit der Frage auseinandergesetzt, Flüchtlinge zu beschäftigen oder plant, das zu tun. Das zeigt, dass unsere Unternehmen offen und bereit dafür sind, ihren Teil dazu beizutragen, die Herausforderungen der Flüchtlingskrise für Deutschland zu bewältigen“, schlussfolgert Schmidt aus der Umfrage.

Die Mehrheit der Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie erwarten durch Migranten allerdings keine maßgebliche Entspannung bei der Lösung des Fachkräftemangels. Schmidt: „Über 60 Prozent der Unternehmen der Branche sind skeptisch, ob durch die Flüchtlinge ein wirkungsvoller Beitrag zur Lösung des Fachkräfteproblems erreicht werden kann.“ Ein anderes Bild ergibt sich in dieser Frage im Bereich der konsumnahmen Dienstleistungen: fast 80 Prozent der Unternehmen erhoffen sich Impulse für die Lösung der bestehenden Arbeitskräfteengpässe. „Auf der einen Seite sind diese Zahlen Ausdruck einer gewissen Skepsis hinsichtlich des Qualifikationsniveaus der Flüchtlinge gerade in den Industrien, die auf hochqualifiziertes Personal angewiesen sind. Auf der anderen Seite sieht die Metall- und Elektroindustrie durchaus Chancen bei der Nachwuchsgewinnung im Bereich der dualen Ausbildung. Migration bietet die Möglichkeit, die größer werdende Lücke gegenüber den akademischen Ausbildungsgängen zu verkleinern.“

Hürden für Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt senken

Schmidt begrüßte in diesem Zusammenhang noch einmal Initiativen auf Landes- und Bundesebene zur Aufhebung der Vorrangprüfung und zur Abschaffung des Zeitarbeitsverbots für Flüchtlinge: „Beide Initiativen helfen, Flüchtlinge besser in Arbeit zu bringen. Denn Arbeit ist maßgeblich für die langfristige Integration derjenigen, die hier nun in Deutschland Schutz und eine Zukunft suchen.“ So diskriminiere das 4jährige Verbot der Zeitarbeit für Migranten ein bewährtes Instrument zur Integration in den Arbeitsmarkt. „Fast zweidrittel der Menschen, die über Zeitarbeitsfirmen in Jobs vermittelt wurden, waren zuvor arbeitslos. Zeitarbeit in ein wichtiger Baustein, um Menschen den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.“
Die Bürogemeinschaft der Arbeitgeberverbände in Hannover erhebt regelmäßig unter ihren Mitgliedsunternehmen Daten zur konjunkturellen Entwicklungen und zu aktuellen Themenstellungen. Für die aktuelle Umfrage wurden zwischen Mitte August und Ende September die rund 800 Mitgliedsunternehmen befragt. Bei den befragten Unternehmen handelt es sich um Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie und der Kautschukindustrie - darunter zahlreiche Automobilzulieferer - der Papier- und Verpackungsindustrie, der Kunststoffindustrie sowie Handel und Dienstleistungen. 

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