Die Ankündigung von VW, Arbeitsplätze und sogar Standorte in Deutschland abbauen zu wollen, hat für ein Beben in der Automobilindustrie gesorgt. Viele sehen darin den letzten Beweis, dass die deutsche Schlüsselindustrie in ihrer bislang tiefsten Krise steckt. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Wir weisen seit langer Zeit daraufhin, dass die deutsche Automobilwirtschaft mit Ihren Lösungen für die klimaneutrale und digitale Mobilität der Zukunft absolut wettbewerbsfähig ist, der deutsche Standort aber leider nicht mehr. Die Situation ist ernst: Rund ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung in Deutschland ist bedroht, eine schleichende Deindustrialisierung ist eine reale Gefahr und wird ohne entschlossenes Gegenlenken zur bitteren Realität. Ob Draghi-Report oder BDI-Transformationsstudie - in Sachen Bestandsaufnahme gibt es keinen Interpretationsspielraum mehr: Wir werden in internationalen Rankings durchgereicht - und das Konzept der überbordenden Regulierung ist gescheitert.
Ich sehe in Sachen Standortbedingungen vor allem den Staat in der Verpflichtung. Alle unsere Mitgliedsunternehmen klagen über Bürokratie, hohe Energie- und Arbeitskosten, die hohen Steuern, die überbordende Regulierung und fehlende Handels- und Rohstoffabkommen - hier müssen Berlin und Brüssel endlich entschlossen handeln. Mit den Sorgen sind wir im Übrigen nicht alleine, diese Faktoren belasten die gesamte deutsche Industrie.
Müssen wir uns darauf einstellen, dass die deutsche Automobilindustrie auf den Weltmärkten bald nur noch eine Nebenrolle spielt?
Ganz sicher nicht. Die deutsche Automobilindustrie hat eine hohe Innovationskraft. Und ihre Marken haben international eine hohe Strahlkraft. Unsere Produkte sind weltweit weiterbeliebt. Nochmals: Deutschlands Automobilindustrie ist wettbewerbsfähig. Die Standortbedingungen in Deutschland sind es aber nicht.
Lange lief es sehr gut für die deutsche Autoindustrie und das hat dazu geführt, dass insbesondere die Öffentlichkeit über die von mir benannten strukturelle Probleme hinweggesehenhat. Spätestens seit Corona treten diese Schwächen zu Tage. Dass nun unterstellt wird, die Krise sei nur hausgemacht, ist umso erschreckender und zeigt, wie realitätsfremd Teile der Politik sind - leider aber auch Teile der öffentlichen Debatte. Dabei wärees jetzt so wichtig, wirklich an den Ursachen zu arbeiten – auf die wir im Übrigen seit Jahren hinweisen.
Umso entschiedener muss die wirtschaftliche Vernunft jetzt sein. Es ist mein fester Glaube an die eigentlichen Fähigkeiten dieses Standortes, mein Vertrauen in die Innovationskraft,in Kreativität, Leidenschaft und Erfolgswillen der Menschen, der mich nicht müde werden lässt, für einen Kurswechsel zu werben. Der mich nicht müde werden lässt, wo es nötig ist, deutliche Kritik zu üben und mit dem VDA konstruktive und lösungsorientierte Alternativen vorzuschlagen. Das gilt nicht nur für die Politik - das gilt genauso für uns als Industrie, das möchte ich ausdrücklich ebenso betonen. Auch hier gilt: Kritische Selbstreflektion ist für alle die beste Qualitätssicherung.
Was muss sich am Standort Deutschland ändern, damit unsere Autoindustrie wieder wettbewerbsfähiger wird?
Wir sind inmitten der Transformation - und ich sehe täglich mit Bewunderung, wie unsere Unternehmen mit Leidenschaft, Entschlossenheit, Erfindergeist und hohen Investitionen diese Herausforderung angehen. Das ist eine enorme Kraftanstrengung. Sie kann nur erfolgreich sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Entscheidend dabei: ein international wettbewerbsfähiger führender Standort. Die Aufgaben sind bekannt und erfordern entschlossenes Handeln, in Punkto wettbewerbsfähige Energiepreise genauso wie mit Blick auf ein wettbewerbsfähiges Steuersystem oder beim Bürokratieabbau. Rohstoff- und Energiepartnerschaften wurden kaum geschlossen, bei Freihandelsabkommen geht es praktisch nicht voran. China hat sich kürzlich mit über 50 afrikanischen Staaten getroffen und verhandelt. Europa hingegen hat fast 50 Handelsabkommen weltweit offen, Abschlüsse sind teils in weiter Ferne. Dabei wären solche Abschlüsse so wichtig. Deutschland ist eine Exportnation: In der deutschen Automobilindustrie hängen etwa 70 Prozent der Arbeitsplätze vom Export ab. Das ist die Basis unseres Wohlstands – und weder Berlin noch Brüssel tun genug für diese Basis.
Insgesamt gilt: Unsere Innovationen und Investitionen können nur dann maximale Wirkung zeigen, wenn das Umfeld stimmt, wenn Klimaschutz nicht gegen, sondern mit der Industrie und den Menschen in unserem Land entwickelt wird.
EFuels spielen aus Ihrer Sicht eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität. Ihre Herstellung ist jedoch bislang sehr teuer und vor allem energieaufwendig. Wie könnte die deutsche Automobilindustrie dennoch davon profitieren?
Um die gesetzten Klimaziele im Verkehr zu erreichen, brauchen wir jede Technologie. Der Hochlauf der Elektromobilität wird den zentralen Beitrag leisten – erneuerbare Kraftstoffe und Wasserstoff sind ebenso wichtige Säulen. Fakt ist: Mit erneuerbaren Kraftstoffen kann insbesondere auch der Bestand von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor perspektivisch weitgehend klimaneutral betrieben werden. Zusätzlich kann auch der Markthochlauf von Null-Emissions-Fahrzeugen, wie beispielsweise Brennstoffzellen-Lkw, angereizt werden.
Grundsätzlich gilt hier: Nur mit einem Kurs, der technologieoffen alle Lösungspotenziale zulässt, kann Europa seine ambitionierten CO2-Reduktionsziele erreichen. Es wäre fahrlässig,sich heute darauf festzulegen, dass die Erzeugung von E-Fuels auch in Zukunft dauerhaft nicht wirtschaftlich sein kann. Mit steigender Produktion und entsprechenden Skaleneffekten sinken die Produktionskosten, Entwicklungssprünge können zu mehr Effizienz führen.Dass die Industrie diese vielfältigen Lösungen für die klimaneutrale und digitale Mobilität der Zukunft entwickelt und zur Serienreife gebracht hat, hat übrigens zuletzt die IAA Transportation in Hannover mit ihren 145 Weltneuheuten eindrucksvoll bewiesen.
Was erwarten Sie in dieser Hinsicht von der Politik?
Entscheidend ist jetzt, dass die Politik Anreize für den Hochlauf erneuerbarer Energieträger festschreibt und somit Investitionen gewährleistet und fördert. Innovationen, Weiterentwicklungen und Skaleneffekte werden dafür sorgen, dass erneuerbare Kraftstoffe langfristig günstiger werden. Die Treibhausgasminderungsquote ist zudem ein Instrument, mit dem ohne staatliche Subventionen Investitionen in erneuerbare Energieträger für den Verkehrssektorangereizt werden können. Deshalb setzen wir uns in der Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) für ambitioniertere Ziele ein.